Schweiz – Bundesverwaltungsgericht, 16. August 2016, E-4122/2016

Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
16-08-2016
Citation:
E-4122/2016
Court Name:
Bundesverwaltungsgericht
National / Other Legislative Provisions:
Switzerland – AsylG (Asylum Act) – Art. 2
Switzerland – AsylG (Asylum Act) – Art. 3
Switzerland – AsylG (Asylum Act) – Art. 6
Switzerland – AsylG (Asylum Act) – Art. 7
Switzerland - AsylG (Asylum Act) - Art. 105
Switzerland - AsylG (Asylum Act) - Art. 106(1)
Switzerland – AsylG (Asylum Act) – Art. 108
Switzerland – AsylG (Asylum Act) – Art. 111
Switzerland – BGG (Federal Supreme Court Act) – Art. 83(d) No. 1
Switzerland – Section 29 BV (Federal Constitution)
Switzerland – VGG (Administrative Court Act) - Art. 31-33
Switzerland – VGG (Administrative Court Act) - Art. 37
Switzerland – Sections 7 VGKE (Act on Costs and Compensation)
Switzerland – Sections 9 VGKE (Act on Costs and Compensation)
Switzerland – Sections 13 VGKE (Act on Costs and Compensation)
Switzerland – Sections 14 VGKE (Act on Costs and Compensation)
Switzerland - VwVG (Administrative Procedure Act) - Art. 5
Switzerland - VwVG (Administrative Procedure Act) - Art. 12
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 26
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 27
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 29
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 32
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 33
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 35
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 48
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 49
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 52
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 63
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 64
Switzerland – VwVG (Administrative Procedure Act) – Art. 65
Printer-friendly versionPrinter-friendly versionPDF versionPDF version
Headnote: 

Ein Syrischer Asylbewerber wehrt sich vor dem Schweizer Bundesverwaltungsgericht erfolgreich gegen einen ablehnenden Asylbescheid gestützt auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.

Facts: 

Der Beschwerdeführer ist ethnischer Kurde und war ursprünglich Ajnabi. Die syrische Staatsbürgerschaft erhielt er erst nachträglich. Im Juli 2015 reiste er über verschiedene Länder illegal in die Schweiz ein und stellte dort ein Asylgesuch.

Die Schweizer Behörden wollten ihn zunächst gestützt auf die Dublin-Verordnung nach Ungarn rücküberstellen, erklärten dann aber die Behandlung des Asylgesuchs im nationalen Verfahren.

Der Beschwerdeführer wurde daraufhin vom Staatssekretariat für Migration (SEM) angehört. Dabei machte er geltend, dass er von zwei bewaffneten syrischen Milizen – Apoci und YPG – wegen der Mitgliedschaft seines Vaters in der C-Partei gesucht und bedroht werde. Der Beschwerdeführer selbst ist nicht Mitglied der C-Partei, unterstützt seinen Vater aber bei dessen politischen Aktivitäten. Seit etwa 2012 nahm der Beschwerdeführer aktiv an Demonstrationen und Kundgebungen der C-Partei teil, nach denen er z.T. von Mitgliedern der Apoci geschlagen wurde. Zudem fürchtet er eine Zwangsrekrutierung durch Apoci oder die syrische Armee, von der er kurz vor seiner Ausreise eine Militärvorladung erhalten hat.

Zwei Onkel und die Verlobte des Beschwerdeführers leben mit Asylstatus in der Schweiz. Seine Brüder und bis auf eine verheiratete Schwester auch alle weiteren Familienangehörigen halten sich ebenfalls als Asylbewerber in der Schweiz auf.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde vom SEM als unglaubwürdig eingestuft und mit Verfügung vom 31.05.2016 dessen Asylgesuch abgelehnt, da der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Flüchtlingsstatus nicht erfülle. Zugleich wurde seine Ausweisung aus der Schweiz angeordnet. Wegen Unzumutbarkeit der Ausweisung nach Syrien wurde dem Beschwerdeführer jedoch vorläufiger Aufenthalt gewährt.

Am 01.07.2016 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen die Verfügung des SEM zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und beantragte die Aufhebung und Zurückverweisung des Falles an die Vorinstanz. Nach seiner Ansicht wurde er aus verschiedenen Gründen in seinen Rechten auf Akteneinsicht und rechtliches Gehör verletzt. Unter anderem seien die von ihm vorgebrachten Beweismittel und sonstiges Vorbringen nicht ausreichend gewürdigt worden.

 

Decision & Reasoning: 
TDie Beschwerde war erfolgreich. Das BVerwG hob die angefochtene Verfügung auf und wies sie zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

In der Begründung prüft das BVerwG verschiedene Aspekte der Rechte auf Akteneinsicht und rechtliches Gehör.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs hat Grundrechtsqualität und erfordert, dass die verfügende Behörde das Vorbringen des Betroffenen tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidungsfindung berücksichtigt.

Im vorliegenden Fall stellt das BVerwG mehrere, z.T. schwerwiegende Fehler durch das SEM fest:

Der Beschwerdeführer hatte verschiedene Beweismittel eingereicht (insb. Fotos, Videos, einen USB-Stick). Diese führte das SEM nirgends in der Asylverfahrensakte des Beschwerdeführers auf und verletzte damit seine Pflicht zur sorgfältigen Aktenführung.

Zudem verletzte das SEM die Rechte des Beschwerdeführers, indem es unberücksichtigt ließ, dass anderen Familienmitgliedern bereits Asylstatus gewährt wurde. Es wäre notwendig gewesen, die Asylverfahrensakten der Eltern und Brüder des Beschwerdeführers hinzuzuziehen und deren Inhalt zu würdigen, um die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente zu verifizieren. Akten anderer Personen müssen hinzugezogen werden, wenn ein Verfolgungszusammenhang besteht. Ein solcher kann insbesondere vorliegen bei konkreter Geltendmachung einer entsprechenden Reflexverfolgung, zuerkannter Flüchtlingseigenschaft von Verwandten oder aus anderen objektiven Gründen.

Eine weitere Rechtsverletzung ergibt sich aus der Nichtberücksichtigung des weiteren wesentlichen Vorbringens des Beschwerdeführers, insbesondere seines ehemaligen Ajnabi-Stauts, der zahlreichen Demonstrationsteilnahmen in Syrien sowie der Mitgliedschaft des Vaters in der C-Partei und dessen Facebook-Beiträgen. Der Umstand, dass das SEM das etwa 30 Seiten umfassende Anhörungsprotokoll in der Verfügung in knapp drei Zeilen zusammenfasste, macht deutlich, dass der Sachverhalt unvollständig wiedergegeben wurde.

 
Outcome: 

Antrag stattgegeben; Aufhebung der Verfügung; Rückverweis an Vorsinstanz.

Observations/Comments: 

Diese Zusammenfassung wurde von Ass.-Jur. Lisa-Marie Lührs MLE geschrieben. Sie ist Doktorandin an der Universität zu Köln.

Case Law Cited: 

Switzerland – Federal Administrative Court, 19 September 2011, D-812/2009

Switzerland – Federal Court, 30 May 1989, 115 V 297

Switzerland – Federal Administrative Court, 8 October 2014, D 3622/2011