Germany - Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 04.11.2015, Az. 12 A 498/15

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Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
04-11-2016
Citation:
Urteil vom 04.11.2015, Az. 12 A 498/15
Court Name:
Verwaltungsgericht Oldenburg
Relevant Legislative Provisions:
International Law
International Law > 1951 Refugee Convention
European Union Law > EN - Treaty on European Union > Article 6
European Union Law > Treaty on the Functioning of the European Union 2010/C 83/01 > Article 78
Council of Europe Instruments > EN - Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms > Article 3
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Recital 15
European Union Law > EN - Asylum Procedures Directive, Council Directive 2005/85/EC of 1 December 2005 > Art 25 > Art 25.1
European Union Law > EN - Asylum Procedures Directive, Council Directive 2005/85/EC of 1 December 2005 > Art 25 > Art 25.2 (a)
European Union Law > EN - Charter of Fundamental Rights of the European Union > Article 4
European Union Law > EN - Dublin III Regulation, Council Regulation (EC) No. 604/2013 of 26 June 2013 (recast Dublin II Regulation)
European Union Law > EN - Charter of Fundamental Rights of the European Union > Article 52 > Art 52.3
European Union Law > EN - Recast Asylum Procedures Directive 2013/32/EU of the European Parliament and of the Council > Article 2
European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011 > Article 24
European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011 > Article 26
European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011 > Article 27
European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011 > Article 29
European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011 > Article 30
European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011 > Article 32
European Union Law > EN - Recast Asylum Procedures Directive 2013/32/EU of the European Parliament and of the Council > Article 33
European Union Law > EN - Recast Asylum Procedures Directive 2013/32/EU of the European Parliament and of the Council > Article 51
National / Other Legislative Provisions:
Germany - Code of Administrative Court Procedure - Art. 101(2)
Germany - Code of Administrative Court Procedure - Art. 113(1)
Germany - Asylum Procedure Act - Art. 34(a)
Germany - Asylum Procedure Act - Art. 77
Germany - Asylum Procedure Act - Art. 4(1)
Germany - Residence Act - Art. 60(1-2)
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Headnote: 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge („Bundesamt“) kann einen Asylantrag zurückweisen und die Abschiebung anordnen, wenn dem Antragsteller bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat gleichwertig subsidiärer Schutz zuerkannt wurde und dieser Mitgliedsstaat als „sicherer Drittstaat“ anzusehen ist. Ein Asylantrag ist aber nicht bereits deshalb unzulässig, weil dem Antragsteller bereits in einem anderen EU-Mitgliedsstaat subsidiärer Schutz zuerkannt wurde.

Nach derzeitigem Kenntnisstand kann Bulgarien nicht als sicherer Drittstaat angesehen werden. In Bulgarien liegen systemische Mängel im Umgang mit Inhabern eines Schutzstatus vor, wodurch für Flüchtlinge ein sehr hohes Risiko der Obdach- und Arbeitslosigkeit sowie der Verarmung besteht verbunden mit Mängel der medizinischen Versorgung sowie fehlenden Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, wodurch Betroffene keine reelle Chance haben, sich ein Existenzminimum zu schaffen das den Standards der maßgeblichen Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) entspricht. Angesichts dieser Situation, ist es nicht zumutbar, einen betreffenden Antragsteller nach Bulgarien abzuschieben.

Facts: 

Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben unter anderem über Bulgarien am 18.08.2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 13.10.2014 seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragte.

Am 15.10.2014 erzielte das Bundesamt für den Kläger einen EURODAC-Treffer für Bulgarien. Das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes für den Kläger nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 („Dublin-III-VO“) lehnte die zuständige bulgarische Behörde unter Hinweis darauf ab, dass dem Kläger in Bulgarien bereits subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Die Statuszuerkennung bestätigte die oberste bulgarische Behörde mit Schreiben vom 12.12.2014 und akzeptierte eine Überstellung des Klägers auf dieser Grundlage.

Mit Bescheid vom 07.01.2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers sodann als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien mit der Begründung an, dass dem Kläger bereits subsidiärer Schutz in Bulgarien zuerkannt worden sei. Das Bundesamt hat den Bescheid auf § 60 Abs. 1 und 2 AufenthG und § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützt.

Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes hat der Kläger am 16.01.2015 Klage beim VG Oldenburg erhoben.

Ebenfalls am 16.01.2015 hat der Kläger Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes  gestellt, dem das VG Oldenburg mit Beschluss vom 04.02.2015 (12 B 499/15) stattgab und zur Begründung im Wesentlichen ausführte, die Klage gegen die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien werde voraussichtlich erfolgreich sein.

Decision & Reasoning: 

Das Gericht befasst sich in seiner Urteilsbegründung im Wesentlichen mit zwei Fragen:

1. Unzulässigkeit des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags aufgrund der Zuerkennung subsidiären Schutzes in Bulgarien?

Dass der Kläger bereits ein Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat durchlaufen hat, in dem ihm ein Schutzstatus zugesprochen wurde, steht der Zulässigkeit eines (weiteren) Asylantrages des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen.

Daraus, dass (insbesondere) die Dublin-III-Verordnung jedem Schutzsuchenden die Durchführung eines Asylverfahrens (nur) in dem Mitgliedstaat garantiert, in dem er seinen ersten Asylantrag gestellt hat, lässt sich nicht schließen, dass ein erneuter Asylantrag in einem weiteren Mitgliedstaat in jedem Fall unzulässig ist. Weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch Unionsrecht enthalten entsprechende Ausschlussregeln.

Aus § 60 AufenthG folgt lediglich, dass ein Ausländer, dem bereits in einem anderen Mitgliedstaat ein Schutzstatus zuerkannt wurde, einen minder- oder gleichwertigen Schutzstatus nicht erneut in der Bundesrepublik  Deutschland beanspruchen kann. Die Beantragung eines weitergehenden Schutzes ist hiervon unberührt.

2. Einordnung Bulgariens als sicherer Drittstaat im Sinne der §§ 34 a Abs. 1, 26 a AsylG?

Der Asylantrag des Klägers ist auch nicht deshalb unzulässig, weil er aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist und somit nicht als Asylberechtigter anerkannt werden kann. Das Gericht ist der Auffassung, dass Bulgarien nicht als sicherer Drittstaat im Sinne des § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG angesehen werden kann.

Es gilt die Vermutung, dass Flüchtlingen in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Behandlung entsprechend der Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2012/C 326/02 („CGEU“), der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention („EMRK“) zukommt („Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“).

Diese Vermutung ist aber dann als widerlegt zu betrachten, wenn den Mitgliedstaaten „nicht unbekannt sein kann“, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem zuständigen Mitgliedstaat derart grundlegende, systemische Mängel anhaften, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.

Der Schutzbereich des Art. 4 CGEU bzw. Art. 3 EMRK kann auch bei unzureichenden Lebensbedingungen im betreffenden Mitgliedstaat betroffen sein. Art. 4 CGEU bzw. Art. 3 EMRK schützen davor, monatelang und ohne Perspektive in extremer Armut leben zu müssen und außerstande zu sein, für Grundbedürfnisse wie Nahrung, Hygieneartikel und Unterkunft aufzukommen. Prognosemaßstab für das Vorliegen derart relevanter Mängel ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit.

Wenngleich ein Ausländer hierfür eine erhöhte Darlegungslast trägt, hat das Gericht festgestellt, dass Behörden und Gerichte wegen der Bedeutung der von CGEU und EMRK geschützten Rechtsgüter die allgemeine und ihnen zugängliche Auskunftslage berücksichtigen müssen.

Bulgarien ist nach Auffassung des Gerichts nicht als sicherer Drittstaat anzusehen, da erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Bulgarien systemische Mängel im Umgang mit Inhabern eines Schutzstatus vorliegen. Diese betreffen den Zugang zum Asylverfahren, die Inhaftierung von Personen, die die Grenze unerlaubt übertreten, die Unterbringung in überfüllten Aufnahmeeinrichtungen, die mangelnde Verpflegung, unzureichende medizinische Versorgung und den eingeschränkten Zugang zu Bildung. Angesichts der krisenhaften sozio-ökonomischen Situation in Bulgarien bestehe für Flüchtlinge mit Schutzstatus daher ein sehr hohes Risiko der Obdach- und Arbeitslosigkeit sowie der extremen Verarmung. Von den Mängeln wäre ein Ausländer zudem nicht nur vereinzelt und aufgrund unglücklicher Umstände oder wegen einer besonderen Sachverhaltskonstellation betroffen. Er wäre vielmehr regelhaft und vorhersehbar als jemand, der zur Gruppe der Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz gehört, betroffen.

Aufgrund dieser tatsächlichen Verhältnisse nimmt das Gericht an, dass dem Kläger bei einer Abschiebung nach Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Situation drohen würde, die von Versorgungsengpässen und inakzeptablen Unterbringungen geprägt ist und die zu einem Leben in extremer Armut führen könnte. Es sei daher nicht zumutbar, den Kläger nach Bulgarien abzuschieben. 

Outcome: 

Die Klage war erfolgreich. Der Bescheid des Bundesamtes vom 07.01.2015 wurde aufgehoben.

Subsequent Proceedings : 

Das Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird beim Verwaltungsgericht Oldenburg unter dem Az. 12 B 499/15 geführt. 

Observations/Comments: 

This case summary was written by Linklaters LLP. This case summary was proof read by Language Connect.

Other sources cited: 

 

UNHCR report, Bulgaria as a country of asylum - UNHCR observations on the current situation of asylum in Bulgaria, 02.01.2014

amnesty international, Urgent action - Flüchtlinge weiter in Notlage – Bulgarien, 06 January 2014

European Council on Refugees an Exiles - ECRE - , report, 08 January 2014

aida, National Country Report Bulgaria, p. 34, 18 April 2014

Bordermonitoring, Gefangen in Europas Morast: Die Situation von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Bulgarien, p. 16, 2014 

Case Law Cited: 

Federal Administrative Court, 19 March 2014 – 10 B 6.14

Higher Administrative Court Baden-Wuerttemberg, 10 November 2014 – A 11 S 1778/14

Federal Constitutional Court, 14 May 1996 – 2 BvR 1938/93 and 2315/93

Administrative Court Berlin, 11 September 2015 – VG 33 K 152.15

Administrative Court Stade, 21 September 2015 – 1 A 791/14

Higher Administrative Court Baden-Wuerttemberg, 29 April 2015 – A 11 S 57/15

Federal Administrative Court, 17 June 2014 – 10 C7/13

Federal Administrative Court, 26 October 2010 – 10 B 28.10

Administrative Court of Karlsruhe (VG Karlsruhe), Beschluss dated 8.10.2014 – A 8 K 345/14