Deutschland - Verwaltungsgerichtshof Hessen, 25. Januar 2010, 8 A 303/09.A

Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
25-01-2010
Citation:
8 A 303/09.A
Additional Citation:
asyl.net/M16618
Court Name:
Verwaltungsgerichtshof Hessen
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Headnote: 

Die Situation in der afghanischen Provinz Logar ist als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu bezeichnen. Der Kläger wäre deshalb bei einer Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer Bedrohung im Sinne von Art. 15 (c) QRL ausgesetzt.

Facts: 

Der Kläger beantragte im Juni 2002 in Deutschland Asyl. Er gab an, er sei Mitglied der Jugendorganisation der DVPA gewesen und sei deshalb während der Herrschaft der Mudschaheddin und der Taliban in Afghanistan verfolgt worden. Im Juli 2003 lehnten die Behörden den Asylantrag ab. Auch eine Klage beim Verwaltungsgericht blieb erfolglos.

Im Januar 2007 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, den er mit der sich verschlechternden Sicherheitslage begründete. In seiner Herkunftsregion Logar herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.v. § 60 (7) (2) Aufenthaltsgesetz/Art. 15 (c) Qualifikationsrichtlinie, da dort NATO-Truppen und Taliban gegeneinander kämpften.

Das Bundesamt lehnte den Antrag im Juli 2007 ab und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen, da der Kläger nicht individuell an Leib und Leben bedroht sei und auch die Versorgungs- und Sicherheitslage in Kabul nicht die Annahme einer extremen Gefahrensituation bei Rückkehr rechtfertige. Die Klage gegen diese Entscheidung wies das Verwaltungsgericht im Februar 2008 zurück.

Der Verwaltungsgerichtshof ließ die Berufung zu, da die Entscheidung des Verwaltungsgerichts u.a. hinsichtlich der  Frage, ob ein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 60 (7) (2) Aufenthaltsgesetz/Art. 15 (c) Qualifikationsrichtlinie nur dann bestehe, wenn ein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweiche. Daneben sei die Frage nach der individuellen Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit von Zivilpersonen in einem bewaffenten Konflikt zu klären.

Decision & Reasoning: 

Dem Kläger ist subsidiärer Schutz nach § 60 (7) (2) Aufenthaltsgesetz/Art. 15 (c) Qualifikationsrichtlinie zu gewähren. Voraussetzung dafür ist, dass Angehörige der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ausgesetzt sind.

Ein interner bewaffneter Konflikt liegt jedenfalls dann vor, wenn anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen zwischen bewaffneten Gruppen unter verantwortlicher Führung stattfinden, nicht jedoch bei inneren Unruhen und Spannungen. Ob zwischen diesen Erscheinungsformen liegende Bürgerkriegshandlungen u.ä. dazu zählen, hängt vor allem von deren Intensität und Dauerhaftigkeit ab. Eine landesweite Konfliktsituation ist jedoch nicht Voraussetzung für die Schutzgewährung. Dies ergibt sich schon daraus, dass auch bei innerstaatlichen bewaffneten Konflikten der Verweis auf internen Schutz in Gebieten außerhalb der Konfliktzone möglich ist.

Die Situation in der Heimatregion des Klägers, Logar, ist besonders prekär, weil sie an den „Paschtunengürtel“/Pakistan grenzt und zum „Herzland der Paschtunen“ gehört, wo die Taliban und Al Qaida besonders starken Rückhalt haben. Die Taliban verüben verstärkt Attentate und sind in einen heftigen Krieg mit Regierungs- und NATO-Truppen verwickelt. Zum anderen grenzt Logar an die Provinz Kabul, wo die Taliban ebenfalls Stützpunkte haben, jedoch die Guerillataktik bevorzugen (das Heimatdorf des Klägers liegt an der Hauptverbindungstraße nach Kabul). Auch die Zivilbevölkerung wird von den Taliban terrorisiert.

Angesichts dieses hohen Grades willkürlicher Gewalt ist eine Zivilperson in der Provinz Logar allein durch ihre Anwesenheit dort erheblicher individueller Gefahr für Leib und Leben i.S.v. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ausgesetzt. Beim Kläger kommen die Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Tadschiken, zur religiösen Minderheit der Schiiten und seine bekannt gewordene frühere Mitgliedschaft in der Jugendorganisation der DVPA hinzu. Zudem verfügte seine Familie über Grundbesitz in Logar, was bei einer Rückkehr zu Begehrlichkeiten führen könne. Angehörige, die bereit und fähig wären, ihn zu schützen, hat er nicht.

In Kabul als einzigen dafür in Frage kommenden Ort kann der Kläger keinen internen Schutz finden, da nach neueren Erkenntnismitteln und Rechtsprechung auch junge, alleinstehende Männer dort keine Existenzgrundlage finden können, wenn sie nicht über Berufsbildung, Vermögen und vor allem sozialen Rückhalt durch Familie und Bekannte verfügen. Dies trifft auf den Kläger nicht zu.

Outcome: 

Für den Kläger wird ein Abschiebungsverbot nach § 60 (7) (2) Aufenthaltsgesetz festgestellt.

Subsequent Proceedings : 

Die Behörden haben gegen dieses Urteil die Revision beantragt, worauf das Urteil vom BVerwG aufgehoben und an den VGH Hessen zurückverwiesen wurde (BVerwG, Beschluss vom 14.7.2010 - 10 B 7.10 - (asyl.net, M17315)).

Observations/Comments: 

Siehe Germany018 (BVerwG, Beschluss vom 14.7.2010 - 10 B 7.10 - (asyl.net, M17315), mit dem diese Entscheidung aufgehoben und zurückverwiesen wird.

Case Law Cited: 

Germany - High Administrative Court Baden-Württemberg, 14 May 2009, A 11 S 610/08

Germany - High Administrative Court Hessen, 26 November 2009, 8 A 1862/07.A

Germany - High Administrative Court Rheinland Pfalz, 06 May 2008, 6 A 10749/07