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Home ›Deutschland - Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 15. März 2017, A 11 S 2151/16
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31. 07. 2016 (BGBL. I
S. 1939)
Germany - Asylum Law
31. 07.2017 (BGBL. I
Das Verfahren wurde ausgesetzt, um dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen. Diese Fragen betreffen insbesondere Überstellungsfristen des Dublin Abkommens und die Verlängerung dieser Fristen. Zusätzlich zu den Fristen wurde die Frage betreffend der zu erwartenden Lebensumstände im zuständigen Mitgliedstaat aufgeworfen.
Der Kläger ist gambische Staatsangehörige, welcher am 5. Oktober 2012 Gambia verlassen hat und über Italien nach Deutschland einreiste. In welchem er am 23. Dezember 2014 einen Asylantrag stellte. Am 26. Januar 2015 ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Wiederaufnahme des Klägers, da ein Eurodac-Treffer zeigte, dass der Kläger einen Asylantrag in Italien gestellt hatte. Daraufhin ordnete das Bundesamt die Abschiebung es Klägers nach Italien ab. Der Kläger sollte am 8. Juni 2015 nach Italien überstellt werden dies war jedoch nicht möglich da der Kläger nicht in seiner Wohnung anzutreffen war. Daraufhin teilte das Bundesamt dem italienischen Innenministerium mit, dass eine Überstellung derzeit nicht möglich sei, da der Kläger flüchtig sei - im Formblatt wurde eine Frist der Überstellung bis spätestens 10. August 2016 (Art. 29 Abs. 2 Dublin-VO) bestätigt. Ein weiterer Überstellungsversuch scheiterte am 3. Februar 2016 da sich der Kläger weigerte das Flugzeug zu besteigen. Die Klage an den Verwaltungsgericht wurde abgewiesen. Jedoch wurde das Berufungsverfahren zugelassen, welches ausgesetzt wurde, um Fragen an den Europäischen Gerichtshof zur Klärung zu übermitteln.
1. Frage: Unter welchen Umständen gilt ein Asylwerber als flüchtig iSd Art. 29 Abs 2 Satz 2 VO (EU) 604/2013? Nur in den Fällen in denen er sich gezielt der Abschiebung entzieht oder diese erschwert oder gilt er bereits als flüchtig wenn er sich für einen längeren Zeitraum nicht in seiner zugewiesen Wohnung aufhält ohne die Behörde darüber zu informieren? Darauf folgend, kann sich ein Asylwerber auf die abgelaufene Überstellungsfrist berufen, da er nicht flüchtig war?
Der Verwaltungsgerichtshof legt die Frage soweit aus, dass ein Asylwerber, trotz fehlender Grundlage in der Verordnung, als flüchtig gilt bzw. die Behörde annehmen kann das er flüchtig ist, wenn er sich ohne Informationen an die Behörde von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort fernhält. Dies begründet das Gericht damit, dass ein effektives funktionieren der Dublin-Verordnungen gesichert werden soll. Die Legaldefinition des “Entziehen” (Art. 2 lit. n) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 benötigt ein Verhalten, dass bewusst im Bezug auf die Überstellung erfolgt ist, daher wäre grundsätzlich ein “Entziehen” nicht anzunehmen, wenn der Asylwerber nur gerade im Moment nicht in der Wohnung anzutreffen ist. Jedoch würde dies zu erheblichen Ermittlungs- bzw. Beweisschwierigkeiten führen, wenn es dem Asylwerber nachgewiesen werden müsste, dass er sich absichtlich von seinem Aufenthaltsort fernhält. Daher hält das Gericht eine weite Auslegung der Legaldefinition für empfehlenswert, in welchem es genügt, dass der Behörde der Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Überstellung nicht bekannt war und es auch keine verlässlichen Anhaltspunkte über den Verbleib des Asylwerbers gibt.
2. Frage: Kommt es zur einer Fristverlängerung nach Art. 29 Abs. 1 UA 1 VO (EU) 604/2013 alleine deshalb weil der überstellende Mitgliedstaat das zuständige Mitgliedsland von der Flüchtigkeit des Asylwerbers informiert und eine konkrete Frist zur tatsächlichen Überstellung benennt, oder müssen die zwei Staaten die Frist einvernehmlich verlängern?
Das Gericht stellt fest, das eine einvernehmliche Verlängerung unpraktikabel wäre, da eine solche Voraussetzung die Norm oft ins Leere laufen lassen würde und daher eine einseitige Fristverlängerung mit Setzung einer Nachfrist als effizienter anzusehen wäre. Dies begründet das Gericht soweit, dass zwar der Wortlaut des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 eine einvernehmliche Lösung im Falle der Krankheit oder Flucht vorsieht, jedoch deckt der Wortlaut, laut Gericht auch die Annahme, dass der überstellende Mitgliedstaat die Fristverlängerung einseitig herbeiführen kann, indem er den aufnehmenden Mitgliedstaat vor Ablauf der Frist über die Flucht/Krankheit des Asylwerbers informiert und eine neue Frist für die Überstellung setzt welche 18 Monate nicht überschreitet.
3. Frage: Ist eine Überstellung des Asylwerbers in das zuständige Mitgliedsland unzulässig, wenn er im Falle der Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus einem ernsthaften Risiko der zu erwartenden Lebensumstände nach Art. 4 GRCh ausgesetzt wäre?
Das Gericht sieht diese Frage als sehr relevant an, da nicht nur während des Verfahrens auf Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus, ein effektiver und menschenwürdiger Flüchtlingsschutz gewährt werden muss, sondern auch danach. Wichtig ist in diesem Fall, dass der Betroffene ein menschenwürdiges Leben in dem zuerkennenden Mitgliedstaat führen kann. Daher ist eine Prüfung auf sog. systematische Schwachstellen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO (EU) Nr. 604/2013) nicht nur für den Zeitraum des Aufnahmeverfahrens durchzuführen, sondern auch die spätere Lage mit einzubeziehen. Daraus folgt, dass ein Asylwerber nicht in ein Mitgliedsland übermittelt werden kann, welches zwar für den Zeitraum des Verfahrens keine Mängel aufweist, jedoch später ein menschenwürdiges Leben nicht ermöglicht. Das Minimum der Existenzbedingungen der Schutzberichtigen liegt, in der Regel bei Inländergleichbehandlung, diese ist jedoch laut Gericht manchmal nicht genug, denn bei diesen Schutzbedürftigen handelt es sich um verletzliche und entwurzelte Menschen, welche oftmals nicht in der Lage sind die gleichen Ansprüche ihre Rechte wie Inländer in Anspruch zu nehmen.
Das Verfahren wurde ausgesetzt, da entscheidungsrelevante Fragen dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt wurden.
This case summary was written by Melina Heinl, a LLM student at Queen Mary University, London.
CJEU - C-670/16 - Mengesteab
Germany - Federal Administrative Court, Decision from 18. 02. 1992, 9 C 59.91
Higher Administrative Court Baden-Wuerttemberg, 10 November 2014 – A 11 S 1778/14
High Administrative Court of Baden-Württemberg (VGH Baden-Württemberg), Urteil dated 16.4.2014 –A 11 S 1721/13