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Home ›Deutschland - Verwaltungsgericht Minden, 22. Dezember 2016, 10 K 5476/16.A
European Union Law > Treaty on the Functioning of the European Union 2010/C 83/01
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004
European Union Law > EN - Dublin III Regulation, Council Regulation (EC) No. 604/2013 of 26 June 2013 (recast Dublin II Regulation)
European Union Law > EN - Recast Asylum Procedures Directive 2013/32/EU of the European Parliament and of the Council
Germany - Verwaltungsgerichtsordnung
Fragen zur Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof:
1. Übergang der Zuständigkeit an den ersuchenden Mitgliedstaat nach Verfahrensverzögerung.
2. Klärung der Frage, ob der Kläger ein Recht auf Geltendmachung der Zuständigkeit nach Zeitablauf der Antragsfrist hat.
3. Weitere Fragen zur Einhaltung der Dublin Richtlinien und der fehlerfreien Umsetzung der Verordnung, insbesondere ab welchem Zeitpunkt ein Antrag auf internationalem Schutz als gestellt gilt.
Der Kläger ist eritreischer Staatsangehöriger. Er suchte am 14. September 2015 bei der Regierung von Oberbayern um Asyl nach. Am 22. Juli 2016 stellte der Kläger einen förmlichen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Laut eigenen Angaben ist der Kläger am 4. September 2015 in Italien eingereist und von dort aus weiter nach Deutschland wo er am 12. September 2015 ankam. Eine am 19. August 2016 durchgeführte Anfrage bei Eurodac ergab, dass dem Kläger in Italien die Fingerabdrücke abgenommen wurden, er dort jedoch keinen Asylantrag gestellt hat.
Das Bundesamt stellte noch am gleichen Tag ein Aufnahmegesuch an die italienischen Behörden, dieses blieb unbeantwortet.
Der Kläger stellte einen Antrag zur Aufschiebenden Wirkung der Abschiebung.
Das Verfahren wurde ausgesetzt und folgende Fragen wurden dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung im beschleunigten Verfahren vorgelegt. Laut Gericht sind diese Fragen entscheidungserheblich, da sie unter anderem klären ob sich ein Kläger auf die Unzuständigkeit wegen Zeitüberschreitung berufen kann. Im Weiteren sieht das Gericht die Fragen als relevant an, da sie geeignet sind eine Vielzahl von Dublin-Entscheidungen zu betreffen, bei denen es durch die Masse an Anträgen zu einer Vielzahl von vermeintlich verspäteten Anträgen kommen wird.
1. Kann ein Asylbewerber den Übergang der Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat wegen Ablaufs der Frist für die Stellung des Aufnahmegesuchs (Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 VO 604/2013) geltend machen?
Dies ist zu bejahen, da der Gerichtshof bereits in früheren Entscheidungen (C-63/15 (Ghezelbash) und G-155/15 (Karim)) angeführt hat, dass ein Asylwerber einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung zur Überstellung hat.
Da dies insbesondere auf eine Überprüfung der Anwendung der Verordnung abzielt, könnte es zur in Fragestellung der Zuständigkeit eines Mitgliedstaats führen, auch wenn dieser Mitgliedstaat keine systematischen Schwachstellen im Asylverfahren aufweist. Laut Gerichtshof soll sich der Mitgliedstaat daher vergewissern, dass es zu einer fehlerfreien Durchführung des in der Verordnung vorgesehen Verfahrens kommt. Dies sollte auch die Einhaltung der Fristen betreffen.
2. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Kann ein Asylbewerber den Übergang der Zuständigkeit auch dann geltend machen, wenn der ersuchte Mitgliedstaat weiterhin bereit ist, ihn aufzunehmen?
Auch Frage 2 ist zu bejahen, da sich der Mitgliedstaat unabhängig von der Bereitschaft des ersuchten Mitgliedstaates zu vergewissern hat, dass es zu einer fehlerfreien Durchführung des Verfahrens durch den Mitgliedstaat gekommen ist.
3. Falls Frage 2 zu verneinen ist: Kann aus der ausdrücklichen oder fingierten Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates geschlossen werden, dass der ersuchte Mitgliedstaat weiterhin bereit ist, den Asylbewerber aufzunehmen?
Dies ist zu bejahen solange der ersuchende Mitgliedstaat den ersuchten Mitgliedstaat zutreffend über die für die Prüfung der Zuständigkeit wesentlichen Umstände des Falls informiert hat und die Frist zur Beantwortung des Aufnahmegesuchs (Art. 22 ABs. 1 und 6 VO 604/2013) abgelaufen ist.
4. Kann die Zweimonatsfrist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 VO 604/2013 nach dem Ablauf der Dreimonatsfrist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013 enden, wenn der ersuchende Mitgliedstaat mehr als einen Monat nach Beginn der Dreimonatsfrist vergehen lässt, bevor er eine Anfrage an die Eurodac-Datenbank richtet?
Laut Gericht ist die Zweimonatsfrist durch die Dreimonatsfrist begrenzt, wobei unwesentlich ist, dass die Normen an verschiedene Zeitpunkte für den Fristbeginn anknüpfen. Es wird betont, dass es der Sinn und Zweck des Artikels ist die Dreimonatsfrist durch die eindeutige Sachlage bei Vorliegen eines Eurodac-treffer auf zwei Monate zu verkürzen.
5. Gilt ein Antrag auf internationalen Schutz bereits mit der erstmaligen Ausstellung einer Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender oder erst mit der Protokollierung eines förmlichen Asylantrags als im Sinne von Art. 20 Abs. 2 VO 604/2013 gestellt? Insbesondere:
a) Ist die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender ein Formblatt oder ein Protokoll im Sinne von Art. 20 Abs. 2 VO 604/2013?
b) Ist zuständige Behörde im Sinne von Art. 20 Abs. 2 VO 604/2013 die Behörde, die für die Entgegennahme des Formblatts oder die Erstellung des Protokolls zuständig ist, oder die Behörde, die für die Entscheidung über den Asylantrag zuständig ist?
c) Ist ein behördliches Protokoll der zuständigen Behörde auch dann zugegangen, wenn ihr der wesentliche Inhalt des Formblatts oder des Protokolls mitgeteilt wurde oder muss ihr dafür das Original oder eine Kopie des Protokolls übermittelt werden?
Das Gericht beurteilt Frage 4 dahingehend, dass der Antrag auf international Schutz mit erstmaliger Ausstellung einer Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender gestellt gilt.
a) Das Gericht gibt an, dass eine Meldung als Asylsuchender ein behördliches Protokoll ist.
b) Laut Verwaltungsgericht ist wohl die “zuständige Behörde” die Behörde, die für die Entgegennahme des Formblatts oder der Erstellung des Protokolls zuständig ist.
c) Diese Frage stellt sich nur, wenn als “zuständige Behörde” die Behörde gemeint ist, welche für die Entscheidung des Asylantrages zuständig ist. Ein solches Protokoll ist laut Verwaltungsgericht auch dann zugegangen, wenn der Behörde die wesentlichen Inhalte des Protokolls mitgeteilt wurden.
6. Können Verzögerungen zwischen dem Nachsuchen um Asyl oder der Bescheinigung über die Meldung und der Stellung des Aufnahmegesuchs zu einem Übergang der Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat führen bzw muss der ersuchende Mitgliedstaat von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen?
Laut Gericht führt eine solche Verzögerung dazu, dass der Mitgliedstaat verpflichtet ist sein Selbsteintrittsrecht gelten zu machen, wenn sich die Stellung des Aufnahmegesuchs dabei unangemessen verzögert hat.
7. Falls Frage 6 bezüglich einer der beiden Alternativen zu bejahen ist: Ab welchem Zeitraum ist von einer unangemessenen Verzögerung der Stellung eines Aufnahmegesuchs auszugehen?
Das Verwaltungsgericht sieht eine “unangemessene Verzögerung” gegeben, wenn der Mitgliedstaat das Ansuchen nicht innerhalb eines Jahres stellt.
8. Wahrt ein Aufnahmegesuch, in dem der ersuchende Mitgliedstaat nur das Datum der Einreise in den ersuchenden Mitgliedstaat sowie das Datum der Stellung des förmlichen Asylantrags nicht aber auch das Datum des erstmaligen Nachsuchens um Asyl bzw. das Datum der erstmaligen Ausstellung einer Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender angibt, die Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013 oder ist ein solches Ersuchen "unwirksam"?
Das Gericht beurteilt die Frage 8 dahingehend, dass ein solches Aufnahmegesuch die Frist wahrt. Allerdings müssen die Angaben zutreffend und vollständig sein, damit der ersuchte Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens zu prüfen.
Das Verfahren wurde ausgesetzt.
Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage stattgegeben.
Das Verfahren wurde ausgesetzt.
Fragen wurden dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorentscheidung im beschleunigten Verfahren vorgelegt C-670/16 Mengesteab.
This case summary was written by Melina Heinl, a LLM student at Queen Mary University, London.
This case summary was proof read by Christian Freuling, a GDL student at BPP University.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Aktuelle Zahlen zu Asyl, November 2016.
Göbel-Zimmermann/Masuch/Hruschka, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, § 60 AufenthG.
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Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 1. Auflage 2014, Art. 20.
Hruschka/Maiani, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, Part D VI, Art. 21.
Germany - Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 23 November 2016, 6a L 2587/16.A
Germany - Verwaltungsgericht Minden, 24 August 2016, 1 L 1299/16.A
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Germany - Verwaltungsgericht Köln, 5 August 2016, 20 L 1736/16.A
Germany - Bundesverwaltungsgericht, 9 August 2016, 1 C 6.16, NVwZ 2016
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