Deutschland - Verwaltungsgericht Meiningen, 2. Februar 2010, 2 K 20113/08 Me

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Headnote: 
  1. Flüchtlingsanerkennung wegen Verfolgungsgefahr aufgrund exponierter exilpolitischer Tätigkeiten im Falle einer Rückkehr nach Vietnam.
  2. Kein Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung nach § 28 Abs. 2 AsylVfG. Entgegen der Rechtsprechung des Bundes-verwaltungsgerichts sind exilpolitische Aktivitäten keine „Umstände“ im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Qualifikationsrichtlinie (QRL), sondern unterfallen allein Art. 5 Abs. 2 QRL, weshalb sie von der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten nicht erfasst werden. Dies zeigt sich auch in der Differenzierung in Art. 4 Abs. 3 (c) und (d) QRL. § 28 Abs. 1a AsylVfG entspricht im Wesentlichen Art. 5 Abs. 2 QRL, auch wenn der Begriff „Aktivitäten“nicht übernommen wurde. 
Facts: 

Der Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Ein erster Asylantrag ist im Jahre 1995 abgelehnt worden. 1999 ist er nach Vietnam zurückgekehrt. Er hat sich dort  politisch gegen das kommunistische Regime betätigt und musste sich deshalb schliesslich verstecken. Am  2. Januar 2008 ist er wieder nach Deutschland gekommen und stellte am 14.4.2008 einen Asylfolgeantrag. Er betreibt in erheblichem Umfang regierungsfeindliche Propaganda. Mit Bescheid vom 11.7.2008 lehnte die Behörde die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab. Hiergegen richtet sich die Klage des Klägers.

Decision & Reasoning: 

Da der Kläger erst am 14.4.2008, also mehr als drei Monate nach seiner Einreise, einen Asylfolgeantrag gestellt hat, ist die gesetzliche Frist von drei Monaten zur Geltendmachung neuer Umstände bezüglich seiner Aktivitäten in Vietnam bereits verstrichen. Auch exilpolitische Betätigungen müssen in einem Asylfolgeverfahren innerhalb einer Frist von drei Monaten dargelegt werden, um berücksichtigt werden zu können. Der Kläger hat eine ganze Reihe von exilpolitischen Aktivitäten fristgerecht vorgetragen. Er muss bei einer Rückkehr nach Vietnam mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten aufgrund seiner exilpolitischen, gegen die Regierung Vietnams gerichteten Tätigkeit, die er öffentlich, nachhaltig und in besonders exponierter Weise ausübt.

§ 28 Abs. 2 AsylVfG steht dem Erfolg der Klage nicht entgegen. Die Vorschrift schliesst  nämlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Folgeverfahren wegen klägerischer Aktivitäten, hier wegen exilpolitischer Tätigkeit nicht aus, selbst wenn sie erst nach unanfechtbarer Ablehnung des früheren Antrages geschafften wurden (a.A. BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 – 10 C 27/07 -).

Das Gericht folgt der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-gerichts aus folgenden Gründen nicht:

Die Neufassung der Absätze 1a und 2 des § 28 AsylVfG diente der Umsetzung des Art. 5 QRL. Das ergibt sich auch aus der Übernahme des Begriffs „Umstände“ aus Art. 5 Abs. 3 QRL in den Gesetzestext von § 28 Abs. 2 AsylVfG. Exilpolitische Tätigkeiten sind aber keine „Umstände“ im Sinn der QRL. Art. 5 Abs. 2 QRL legt uneingeschränkt fest, dass Verfolgungsfurcht auch auf solchen „Aktivitäten“ des Antragstellers beruhen kann, die seit und nach Verlassen des Herkunftslandes unternommen wurden - vor allem in näher dargestellten Sonderfällen. Irgendwelche Einschränkungen enthält diese Bestimmung nicht. Dem entspricht, wenngleich der Begriff "Aktivitäten" nicht übernommen wird, im Wesentlichen der neue § 28 Abs. 1a AsylVfG. Die in Art. 5 Abs. 3 QRL für Folgeanträge - unbeschadet der GFK - den Mitgliedstaaten zugestandene Regelungskompetenz, eine Anerkennung als Flüchtling in der Regel auszuscheiden, wenn die Verfolgungsgefahr auf „Umständen“ beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat, ist nach dem Sprachgebrauch der Richtlinie (vgl. Art. 4 Abs. 3 c) allein auf persönliche Umstände (familiärer und sozialer Hintergrund) beschränkt (Ehe, Kinder, Arbeitslosigkeit usw.). Die in Abs. 2 genannten „Aktivitäten“ sind also von den in Abs. 3 genannten „Umständen“ sprachlich wie sachlich zu unterscheiden, wie auch die Differenzierung in Art. 4 Abs. 3 c und d der Richtlinie aufzeigt. Droht wie vorliegend wegen solcher „Aktivitäten“ im Falle einer Rückkehr Verfolgung, ist die Flüchtlingseigenschaft festzustellen. Eine Einschränkung diesbezüglich wäre mit Art. 5 Abs. 2 QRL unvereinbar und ist auch vom deutschen Gesetzgeber mit § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht (mehr) beabsichtigt. Exilpolitische Aktivitäten i.S.v. Art. 4 Abs. 3 d QRL gehören wie ausgeführt nicht zu den (persönlichen) „Umständen“ im Sinne des Art. 5 Abs. 3. Sie werden nicht von der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten erfasst. Dem ist der deutsche Gesetzgeber gefolgt, indem er den Begriff der „Umstände“ in § 28 Abs. 2 AsylVfG übernommen hat. Die Kammer hält es deshalb für zwingend, diese Vorschrift des deutschen Rechts ausschließlich in dem Sinn zu verstehen, den sie in Art. 5 Abs. 3 QRL hat. Eine Auslegung anhand der Motivation des Gesetzgebers zur Schaffung der früheren Fassung des § 28 Abs. 2 AsylVfG hat daneben keinen Platz.

Outcome: 

Die Asylbehörde wurde verpflichtet, den Kläger als Flüchtling anzuerkennen.

Subsequent Proceedings : 

Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungs-gericht Thüringen von der Beklagten gestellt, aber bisher (20. Januar 2012) noch keine Entscheidung darüber.

Observations/Comments: 

Eine englische Übersetzung der erwähnten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts  – 10 C 27/07 - vom 18. Dezember 2008 ist nachzulesen auf:
http://www.bverwg.de/enid/55f6bed7de95d691a64112f1a2f3f6bc,0/Decisions_i...

Case Law Cited: 

Germany - Administrative Court Lüneburg, 15 January 2007, 1 A 15/04

Germany - Administrative Court Meiningen, 3 April 2007, 2 K 20183/06 Me