ECRE is currently working on redeveloping the website. Visitors can still access the database and search for asylum-related judgments up until 2021.
You are here
Home ›Deutschland - Verwaltungsgericht Karlsruhe, 4 April 2012, 1 K 834/11
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Art 9
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Art 12
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Art 13
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Art 15 > Art 15 (b)
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Art 15
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Art 26 > Art 26.3
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Art 26
Germany - AufenthG (Residence Act) - § 60 Abs. 2
Germany - AufenthG (Residence Act) - § 58 Abs. 3
Germany - AufenthG (Residence Act) - § 60 Abs. 4
Germany - AufenthG (Residence Act) - § 60 Abs. 5
Germany - AufenthG (Residence Act) - § 60 Abs. 6
Germany - AufenthG (Residence Act) - § 60 Abs. 7
Germany - AufenthG (Residence Act) - § 60 Abs. 8
Germany - AufenthG (Residence Act) - § 48 Abs. 2
Germany - AsylvfG (Asylum Procedure Act) - § 72 Abs. 1
Germany - VwGO (Code of Administrative Court Procedure) - Section 113(5)(2)
Germany - Employment Procedures Order (BeschVerfV) - § 10(1)(1)


Bei einer Person, die subsidiären Schutz entsprechend der Qualifikationsrichtlinie genießt, kann die Nichterfüllung der Passpflicht bei der Ermessensausübung zur Prüfung über die Zulassung zur Ausübung einer Beschäftigung keine Berücksichtigung finden.
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Wegen der Teilnahme an der Besetzung des türkischen Generalkonsulats in München verpflichtete das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 25.07.2007 die zuständige Asylbehörde, festzustellen, dass Abschiebungsverbote entsprechend der Qualifikationsrichtlinie vorliegen (subsidiärer Schutz). In den Urteilsgründen ist festgestellt, dass dem Antragsteller in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen der Teilnahme an einer Besetzung des Generalkonsulats im Jahr 1993 politische Verfolgung drohe, der Anerkennung als Asylberechtigter und der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft jedoch Gründe entsprechend Art. 12 QRL entgegenstehen. Zur Zeit besitzt der Antragsteller eine Duldung.
Im April 2010 beantragte der Antragsteller die Zulassung zur Ausübung einer Beschäftigung. Diesen Antrag lehnte die Behörde ab. Sie begründete dies damit, dass die Erwerbstätigkeit im Wege des Ermessens wegen der fehlenden Vorlage eines türkischen Reisepasses durch den Antragsteller untersagt werde. Hiergegen hat der Antragsteller Klage erhoben.
Die Klage ist begründet. Nach den zu Grunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen kann geduldeten Ausländern unter bestimmten Umständen eine Beschäftigung erlaubt werden. Die beklagte Behörde hat vorliegend von dem ihr eröffnteten Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht, da sie sachwidrig auf die Erfüllung der Passpflicht durch den Antragsteller abgestellt hat.
Zum einen hat es bei seiner Ermessensausübung Art. 26 Abs. 3 S. 1 der Qualifikationsrichtlinie nicht beachtet. Nach dieser Bestimmung, die bei der Auslegung und Anwendung des entsprechenden Rechts der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen ist, gestatten die Mitgliedstaaten unmittelbar nach der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, die Aufnahme einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften, die für den betreffenden Beruf allgemein gelten. Bei der Umsetzung dieser Pflicht kann nach Art. 26 Abs. 3 S. 2 der Qualifikationsrichtlinie nur die nationale Arbeitsmarktlage der Gestattung entgegenstehen. Dem Antragsteller ist der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt. Dementsprechend kann bei der Ermessensausübung die Nichterfüllung der Passpflicht von vornherein keine Berücksichtigung finden.
Unabhängig hiervon ist dem Antragsteller die Erfüllung der Passpflicht nicht zumutbar, so dass auch deswegen die Ermessensausübung fehlerhaft ist. Es kann zwar grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es einem Ausländer, der in seinem Heimatland verfolgt wird, zumutbar ist, in einem eng begrenzten Umfang die Dienste der Behörden dieses Landes durch persönliche Vorsprache in Anspruch zu nehmen, soweit er sich nicht damit dem Schutz des Herkunftsstaates unterstellt. Danach überschreiten z.B. Bemühungen Asylberechtigter zur Entlassung aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit nicht grundsätzlich die Grenzen des Zumutbaren. Insbesondere verletzt es nicht die Menschenwürde, deren Schutz auch das Grundrecht auf Asyl dient, dass der Asylberechtigte in diesem Zusammenhang um eine Maßnahme des Heimatstaates oder dessen Auslandsvertretung nachsuchen muss. Er "unterwirft" sich damit nicht diesem Staat, sondern bemüht sich um die Aufhebung eines rechtlich noch bestehenden Bandes, das er der Verfolgung wegen faktisch bereits weitgehend gelöst hat. Da er sich durch derartige Bemühungen gerade nicht dem Schutz des Verfolgerstaates unterstellt, gefährdet er auch nicht etwa sein Asylrecht. Diese Beurteilung gilt grundsätzlich auch für den lediglich subsidären Abschiebungsschutz genießenden Antragsteller. Allerdings ist im Gegensatz zu der geschilderten Konstellation der vorliegende Sachverhalt dadurch gekennzeichnet, dass sich der Antragsteller mit seinem Begehren nicht nur an die Vertretung des Verfolgerstaates wenden müsste, sondern auch mit der Beantragung des Reisepasses im Ergebnis den Schutz des Verfolgerstaates in Anspruch nimmt. Er müsste sich der Ordnung des Verfolgerstaates unterwerfen und mit seinem Handeln diese Ordnung anerkennen, die ihn gleichzeitig in menschenrechtswidriger Weise aus der staatlichen Friedensordnung ausgrenzt. Bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her ist seine verfolgungsrechtliche Situation mit der eines Flüchtlings, der den Status entsprechend Art. 13 der Qualifikationsrichtlinie erhalten hat, vergleichbar. Wie jenem ist ihm eine erneute Beantragung eines Passes nicht zumutbar, da dies eine erneute Unterschutzstellung bedeuten würde.
Soweit die Behörde bei seinen Ermessenserwägungen auf die Bedeutung des Identitätsnachweises im Rechtsverkehr hingewiesen hat, wäre dem nicht durch die Versagung der Zulassung zur Ausübung einer Beschäftigung, sondern durch Ausstellung eines Ausweisersatzes Rechnung zu tragen.
Dementsprechend wird die Behörde nunmehr die Bundesagentur für Arbeit zu beteiligen haben und auf Grundlage von deren Äußerung über eine Zulassung der Ausübung einer Beschäftigung neu zu entscheiden haben.
Die Behörde wurde verpflichtet, über den Antrag auf Zulassung der Ausübung einer Bescháftigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Nicht bekannt.
Germany - Administrative Court Bavaria, 18 January 2011, 19 B 10.2157
Germany - Federal Administrative Court (BVerwG), 27 September 1988, 1 C 3.85
Germany - Federal Constitutional Court (BVerfG), 16 September 1990, 1864/88 - NJW 1991, 633