Deutschland - Verwaltungsgericht Karlsruhe, 16. April 2010, A 10 K 523/08

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Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
16-04-2010
Citation:
A 10 K 523/08
Additional Citation:
asyl.net/M17700
Court Name:
Verwaltungsgericht Karlsruhe
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Headnote: 

Drohungen durch Terroristen gegen eine Person, die für die internationalen Truppen im Irak arbeitete, rechtfertigen nicht den Flüchtlingsstatus. Irakische Staatsbürger, die mit den Besatzungstruppen kooperieren bilden keine "soziale Gruppe" im Sinne der Qualifikationsrichtlinie. Allerdings ist subsidiärer Schutz zu gewähren, da in der Region Ninive ein bewaffneter Konflikt herrscht und durch die in der Vergangenheit erfahrenen Drohungen individuelle gefahrerhöhende Umstände vorliegen.

Facts: 

Die Antragstellerin ist kurdischer Volkszugehörigkeit und stammt aus Mosul. Sie beantragte im November 2007 in Deutschland Asyl. Da sie im Irak auf einem US-amerikanischen Stützpunkt gearbeitet habe, sei sie von Terroristen mit dem Tode bedroht worden. Bei einem Anschlag sei ihr Bruder schwer verletzt worden. Das Bundesamt lehnte den Antrag im Dezember 2007 ab. Die Antragstellerin klagte gegen die Ablehnung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe.

Decision & Reasoning: 

Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus.

Irakische Staatsbürger, die mit den Besatzungstruppen kooperieren, sind nicht als „bestimmte soziale Gruppe“ im Sinne von Art. 10.1 (d) der Qualifikationsrichtline anzusehen. Der Begriff der „bestimmten sozialen Gruppe“ ist weit gefasst; er ist entwicklungsoffen für die vielfältigen und sich wandelnden Erscheinungsformen von Gruppen in verschiedenen Gesellschaften. Insoweit kann es ausreichen, dass die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe durch ein gemeinsames Merkmal gekennzeichnet sind und von ihrer Umgebung als fest umrissene Gruppe wahrgenommen werden (vgl. dazu Anmerkungen des UNHCR zur Richtlinie 2004/83/EG, Teil 1, Rn. 71 ff.). Das Merkmal einer „Kooperation mit den Besatzungstruppen“ ist aber nicht geeignet, um von der umgebenden Gesellschaft als Merkmal einer fest umrissene Gruppe wahrgenommen zu werden. Auch die Klägerin beruft sich darauf, dass sie von einzelnen Terroristen bedroht worden sei. Eine allgemeine gesellschaftliche Ächtung ob ihrer Tätigkeit für die Besatzungstruppen wird auch von ihr nicht geltend gemacht.

Die Klägerin hat aber Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 60 (7) (2) des Aufenthaltsgesetzes/Art. 15 (c) der Qualifikationsrichtlinie.

Nach den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts muss sich ein bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 (c) der Qualifikationsrichtlinie nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Er muss nicht notwendigerweise die Schwelle erreichen, die das humanitäre Völkerrecht für einen bewaffneten Konflikt vorsieht (Art. 1 Nr. 1 des Zusatzprotokolls II zu den Genfer Konventionen von 1949), es darf sich aber auch nicht nur um innere Unruhen handeln, bei denen es zu Tumulten oder vereinzelten Gewalttaten kommt. Bei Konflikten, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, muss ein bestimmtes Maß an Dauerhaftigkeit und Intensität bestehen .

Im vorliegenden Fall hätte die Klägerin nur die Möglichkeit, sich bei einer Rückkehr in den Irak in der Provinz Ninive niederzulassen. Dort hält sich ihre Familie auf. Eine Aufnahme in einem anderen Gebiet ohne diesen verwandtschaftlichen Hintergrund scheidet in ihrem Fall als Mutter eines Säuglings aus. Folglich ist bei der Frage, ob der Klägerin subsidiärer Schutz zu gewähren ist, auf die Situation in der Provinz Ninive abzustellen.

Das Gericht geht davon aus, dass in der Provinz Ninive im Jahr 2007 ein bewaffneter Konflikt im Sinne der Qualifikationsrichtlinie vorlag und sich die Verhältnisse dort noch nicht wesentlich bis heute verbessert haben. In der Provinz kommt es zu einer Vielzahl von Anschlägen, was auch auf eine gewisse personelle Stärke der Terrororganisation hindeutet.

Vor diesem Hintergrund und aufgrund der von der Antragstellerin und ihrer Familie erfahrenen Drohungen und Angriffen, ist außerdem davon auszugehen, dass persönliche Gefahr erhöhende Umstände vorliegen.

Outcome: 

Die Behörden werden verpflichtet, der Antragstellerin subsidiären Schutz zu gewähren.

Subsequent Proceedings : 

Unbekannt.

Other sources cited: 

Anmerkungen des UNHCR zur Richtlinie 2004/83/EG, Teil 1, Rn. 71 ff.