Deutschland - SächsOVG, Beschluss vom 5. Oktober 2015, 5 B 259/15.A

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Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
05-10-2015
Citation:
5 B 259/15.A
Court Name:
Sächsisches Oberverwaltungsgericht (Raden, Drehwald, Tischer)
Relevant Legislative Provisions:
National / Other Legislative Provisions:
Germany - Code of Administrative Court Procedure - Art 80(5)
Germany - Code of Administrative Court Procedure - Art 154(1)
Germany - Code of Administrative Court Procedure - 113(1)
Germany - Code of Administrative Court Procedure - Art 80(7)
Germany - Code of Administrative Court Procedure - Art 77(1)
Germany - Asylum Procedure Act - Art 27a
Germany - Asylum Procedure Act - Art 34a
Germany - Asylum Procedure Act - Art 75
Germany - Asylum Procedure Act - Art 83b
Germany - Asylum Procedure Act - Art 80
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Headnote: 

Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über (Art 29(2) EU Verordnung 604/2013 Dublin III Regulation).

Facts: 

Der Antragsteller sei aus Lybien mit einem bis 17. März 2013 gültigen befristeten polinischen Visum nach Polen geflogen. Von dort ist er am 24. Oktober 2013 nach Deutschland eingereist und hat am 8. Januar 2014 einen Asylantrag gestellt. 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat am 17. März 2014 ein Aufnahmegesuch an Polen gerichtet, dem Polen am 20. März 2014 gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III- VO zugestimmt hatte.

Daraufhin stellte der Antragsteller einen Antrag auf vorläufigen Rechtschutz.

Das zuständige Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab, weil die Frist gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO von 6 Monaten für die Überstellung Antragsstellers nach Polen wegen des den Fristlauf gemäß Art. 27 Abs. 3 c S. 2 Dublin III-VO i.V.m § 34a Abs. 2 S.2 AsylVfG hemmenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren noch nicht abgelaufen sei und eine Selbsteintrittspflicht der Antragsgegnerin mangels systematischer Mängel des Asylverfahrens in Polen nicht bestehe.

Daraufhin erhob der Antragssteller Klage am 8. April 2014.

Decision & Reasoning: 

Das Oberverwaltungsgericht hat festgetellt, dass BAMF den Asylbewerber in seinen subjektiven Rechte auf sachliche Prüfung seines Asylantrags verletzt hatte, weil die Überstellungsfrist von 6 Monaten der angeordneten Abschiebung abgelaufen sei und es blieb offen ob Poland noch aufnahmebereit oder dazu verpflichtet sei (Art. 29 II S. 1 Dublin III-VO) den Asybewerber zu nehmen.

Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über (Art. 29 Abs. 2 Dublin III VO)

 

Das Gericht stützt seine Argumente auf verschiedene Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGH, Urt. v. 10. Dezember 2013 – C-394/12, Abdullahi -, Rn. 53; EuGH, Urt. v. 21. Dezember 2011 – C-411/10, C-493/10, N. S. u. a. -, Rn. 79)

 

Ist der Zielstaat der Überstellung nicht zur Aufnahme des Asylbewerbers bereit und dazu auch nicht verpflichtet, wie im Fall des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, verletzt die Überstellungentscheidung den Asylbewerber in seinem subjektiven Recht auf sachliche Prüfung seines Asylantrags, das den Anspruch des Asylbewerbers auf ein effektives und zügiges Verfahren zur Bestimmung des für die Sachprüfung zuständigen Mitgliedstaats einschließt. Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Dublin II-und der Dublin III- VO effektiven und zügigen Zugang zum Asylverfahren zu ermöglichen. Dem Dublin-System ist deshalb ein Beschleunigungsgebot immanent (BVerwG, Beschl. v. 8. Juli 2015 - 1 B 30.15 -, juris Rn. 6).

Aus dem Beschleunigungsgebot folgt die Pflicht, keine Überstellung mehr vorzunehmen, wenn der Zielstaat inzwischen nicht zur Aufnahme bereit und dazu auch nicht verpflichtet ist. Denn dann ist mit der Rücküberstellung des betroffenen Asylbewerbers zu rechnen, was die sachliche Prüfung seines Asylantrags unnötig verzögern würde.

Umgekehrt, kann der Asylbewerber eine Aufhebung der Überstellungsentscheidung mangels Verletzung in eigenen Rechten dann nicht verlangen, wenn der Zielstaat trotz Ablaufs der Überstellungsfrist weiterhin bereit und mangels systemischer Mängel seines Asylverfahrens auch in der Lage ist, den Asylbewerber aufzunehmen und seinen Asylantrag sachlich zu prüfen.

Ob vorliegend Polen trotz Ablaufs der Überstellungsfrist weiterhin bereit ist, den Antragsteller aufzunehmen und dessen Asylantrag zu sachlich zu prüfen, ist derzeit offen. Wegen der mit jedem Asylverfahren verbundenen finanziellen und administrativen Belastungen - insbesondere auch angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation in den Mitgliedstaaten - ist eher anzunehmen, dass Polen die Aufnahme verweigern wird. Die Antragsgegnerin trägt in diesem Fall die Darlegungs- und materielle Beweislast.

Letztlich, bei der i.R.d. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 7 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das Interesse der Antragsgegnerin an einem sofortigen Vollzug der Abschiebung nach Polen.

Demgegenüber sollte es der Antragsgegnerin trotz Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ohne weiteres möglich sein zu prüfen, ob Polen trotz Fristablaufs weiterhin aufnahmebereit ist, etwa durch eine Anfrage an die zuständigen polnischen Behörden. Bejahendenfalls stünde dann auch ihr ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO offen, falls sie die Überstellung schon vor der Entscheidung über die Klage anstrebt.

Outcome: 

Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.

Observations/Comments: 

This case summary was written by Ana-Maria Bucataru, an LLM student in Immigration Law at Queen Mary University, London.

The summary was proof read by Ann-Christin Bölter, an LLM student in Immigration Law at Queen Mary University, London.

Case Law Cited: 

Germany- Administrative Court Hessen, 25. August2014 - 2 A 976/14.A

Germany- Higher Administrative Court of Rh.-Pf., 5. August 2015 - 1 A 11020/14

Germany- Higher Administrative Court of Saxony, 3. Februar 2015 - A 3 B 228/14

Germany- Higher Administrative Court of Saxony, 3. July 2015 - 5 B 158/15

Germany- Higher Administrative Court of Saxony, 7. September 2009 - 5 B 329/08

Germany- Higher Administrative Court of Saxony, 12. November 2007 - 5 BS 336/07

Germany- Higher Administrative Court of NRW, 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A

Germany- The Bavarian Administrative Court,11. February 2015 - 13a ZB 15.50005

Germany- Higher Administrative Court of NRW, 2. June 2015 - 14 A 1140/14.A

Germany-Federal Administrative Court, 10. March 2011 - 8 VR 2.11 -and 25. August 2008 - 2 VR 1.08

Germany-Federal Administrative Court, 13. June 2007 - 6 VR 5.07 11

Germany-Federal Administrative Court, 29. October 2014 - 7 VR 4.13

Germany-Federal Administrative Court, 8. July 2015 - I B 30.15

Germany- Administrative court BW, 27. August 2014 - A Il S 1285/14

Germany- The Bavarian Administrative Court, 16. July 2015 - 21 ZB 15.50137

Germany- The Bavarian Administrative Court, 3. June 2015 - 11 ZB 15.50114

CJEU - C-19/08 Migrationsverket v Edgar Petrosian and Others (UP)