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Home ›Deutschland - Bundesverwaltungsgericht, 14. Juli 2010, 10 B 7.10
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Art 15 > Art 15 (c)
European Union Law > EN - Qualification Directive, Directive 2004/83/EC of 29 April 2004 > Art 15
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Unrecht angenommen, dass für Rückkehrer ohne Ausbildung und familiäre Verbindungen allgemein in Kabul keine inländische Schutzalternative zur Verfügung steht. Der Verwaltungsgerichtshof hätte prüfen müssen, ob der Kläger über Vermögen verfügt, mit welchem er seine wirtschaftliche Existenzgrundlage bei einer Rückkehr sichern könnte.
Der Kläger ist 40 Jahre alt. Er stammt aus der Provinz Logar südlich von Kabul. Nach Ablehnung seines Asylantrags und einer Klage gegen diese Entscheidung hatte die Berufung teilweise Erfolg, indem der Verwaltungsgerichtshof Hessen die Behörden verpflichtete, subsidiären Schutz wegen erheblicher individueller Gefahr im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (§ 60 Abs. 7 S. 2 Aufenthaltsgesetz/Art. 15 (c) QRL) in seiner Herkunftsprovinz Logar zu gewähren. Die Möglichkeit des internen Schutzes in Kabul bestehe nicht, weil er aufgrund seiner persönlichen Umstände seine Lebensgrundlage dort nicht sichern könne, u.a. weil er eventuell noch vorhandenen Grundbesitz in seiner Heimatregion nicht dafür nutzen könne.
Dagegen richtet sich die Revision.
Die von den Behörden erhobene Revision ist erfolgreich. Der Verwaltungsgerichtshof geht bei der Prüfung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes (§ 60 (7) (2) Aufenthaltsgesetz, Art. 15 (c) QRL) davon aus, dass der Kläger nicht auf internen Schutz in einem anderen Teil seines Herkunftslandes Afghanistan (§ 60 (11) AufenthG, Art. 8 QRL) verwiesen werden könne. Im Bereich der Hauptstadt Kabul könnten auch jungen ledigen Männern im Falle ihrer zwangsweisen Rückführung sog. Extremgefahren drohen, wenn mangels ausreichender Schul- oder Berufsausbildung, Vermögens oder Grundbesitzes und insbesondere eines funktionierenden Netzwerks durch Familie oder Bekannte nicht sichergestellt sei, dass sie dort eine menschenwürdige Existenzgrundlage finden könnten. Davon müsse auch im Falle des nunmehr vierzigjährigen Klägers ausgegangen werden, der aus der ländlichen Region südlich Kabuls stamme.
Der Verwaltungsgerichtshof ist dabei bei der Beurteilung der Möglichkeit zur Sicherung des Existenzminimums „unausgesprochen“ vom Maßstab der Überzeugungsgewissheit ausgegangen, obwohl seine Feststellungen zum Grundbesitz auch die entgegengesetzte Möglichkeit - nämlich, dass der Kläger Grundbesitz hat und auch verwerten kann - offen lassen. Dies stellt einen Verfahrensmangel dar, weil die Schlussfolgerung des VGH im zweifelsfreien Widerspruch zum Verfahrensstoff steht bzw. der VGH das Beweismaß verfehlt.
Die Sache wird an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof muss bei der Prüfung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG/Art. 15 (c) QRL) die Anforderungen beachten, die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - Rn. 33 näher beschrieben sind. Danach ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden. Daneben ist eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Zahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich.
Das Verfahren wird an den VGH Hessen zur Klärung der aufgeworfenen Fragen zurückverwiesen.



