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Home ›Deutschland - Bundesverwaltungsgericht, 1 C 26.14, 17 September 2015
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Germany - Code of Administrative Court Procedure - Art 113(1)(1)
Germany - Code of Administrative Court Procedure - Art. 132(2)
Germany - Code of Administrative Court Procedure - Art. 154(2)
Germany - Asylum Procedure Act - Art 27a
Germany - Asylum Procedure Act - Art. 78(3)
Germany - Asylum Procedure Act - Art. 83(b)
Germany - Code of Civil Court Procedure Art. 708
Germany - Asylum Procedure Act - Art. 31
Germany - Asylum Procedure Act - Art. 34a(1)
Germany - Administrative procedure Act - Art. 12(2)
Germany - Residence Act - Art. 11
Germany - Lawyers' Compensation Act - Art. 30
Die Regelungen der Dublin-Verordnungen geben keine Rangfolge hinsichtlich der Überstellungsmodalitäten vor. Insbesondere besteht kein Vorrang zugunsten einer Überstellung auf eigene Initiative des Antragstellers gegenüber einer durch Verwaltungszwang angeordneten. Bei der Entscheidung über den Antrag, ist dem Antragsteller von der Vollzugsbehörde eine Überstellung ohne Verwaltungszwang dann zu ermöglichen, wenn gesichert erscheint, dass er sich (i) freiwillig in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat begibt und (ii) sich dort fristgerecht bei der verantwortlichen Behörde meldet. Eine Überstellung ohne Verwaltungszwang ist keine Abschiebung und führt deshalb nicht zu einem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG.
Im Oktober 2013 reiste der Antragsteller, ein pakistanischer Staatsbürger, nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Er gab gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge („BAMF“) an, zuerst im September 2013 per Schiff in Italien angekommen zu sein und daraufhin nach Deutschland gereist zu sein.
Das BAMF richtete ein Übernahmeersuchen an Italien, gestützt auf Art. 10 (1) Dublin II-VO. Nach ausbleibender Reaktion der zuständigen italienischen Behörden, teilte das BAMF dem Italienischen Innenministerium mit, dass das Übernahmeersuchen damit als angenommen gelte.
Mit Bescheid vom 12. März 2014 wurde vom BAMF der Asylantrag als unzulässig zurückgewiesen und eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien gem. § 34a (1) S. 1 AsylVfG[1] angeordnet. Ein darauf beim Verwaltungsgericht gestellter Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurde abgelehnt und auch die Klage gegen die Entscheidung des BAMF wurde abgewiesen.
Der Antragsteller legte Berufung beim Verwaltungsgerichtshof ein, das diese bezüglich der Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags nicht zuließ, was sodann rechtskräftig geworden ist. Der Verwaltungsgerichtshof wies auch die Berufung des Antragsstellers hinsichtlich der Abschiebungsanordnung mit der Begründung zurück, dass die auf § 34a AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung mit Unionsrecht vereinbar sei und damit auch mit den Dublin-Verordnungen.
Der Antragssteller legte erneut Revision beim BVerwG bezüglich der Abschiebungsanordnung ein. Der Antragssteller rügte die Rechtsauslegung des Berufungsgerichts und behauptete, aus ihr folge ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip des Grundgesetzes und Unionsrechts mit der Begründung, dass die Überstellung eines Asylbewerbers allein den Zweck der Durchsetzung einer Zuständigkeitsregelung verfolge, weshalb es unverhältnismäßig sei, hierfür allein das Zwangsmittel einer Abschiebungsanordnung vorzusehen, wenn der Antragssteller eine freiwillige Rückführung beantragt habe
Das BVerwG untersuchte zunächst die Befähigung des BAMF den Antragsteller auszuweisen. Laut dem BVerwGerlaube § 34a (1) AsylVfG dem BAMF die Abschiebung des Antragstellers in den ersten Mitgliedsstaat, der für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Mit der Feststellung, dass § 34a (1) AsylVfG sowohl mit der Dublin II-Verordnung, als auch mit der Dublin-Durchführungsverordnung und der Dublin III-Verordnung vereinbar ist, erklärte das Gericht, dass die Abschiebung des Antragstellers die Voraussetzungen der Norm erfüllt.
Das BVerwG stellte fest, dass die drei von den Dublin-Verordnungen vorgegebenen Überstellungsvarianten (Überstellung auf Eigeninitiative des Asylbewerbers, begleitete Überstellung bis zum Besteigen des Beförderungsmittels oder eskortierte Überstellung bis zur Übergabe an die Behörden) keine Rangfolge vorgäben. Insbesondere stellte das BVerwG fest, dass sich keine Rangfolge aus den zu den Dublin-Verordnungen enthaltenen Mitteilungspflichten ergäbe, die für den Fall der Überstellung auf eigene Initiative anzuwenden sind. Laut dem BVerwG obliege eine etwaige Entscheidung vielmehr der Regelungskompetenz des ersuchenden Mitgliedstaates.
Das BVerwG stellte fest, dass eine Verpflichtung einem Asylsuchenden eine Überstellung ohne Verwaltungszwang zu ermöglichen nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) folge, da die Dublin-Verordnungen als leges speciales hinsichtlich Fragen der Modalität der Überstellung vorgehen. Das BVerwG erörterte, dass anders als in der Rückführungsrichtlinie, die Rückführung der im jeweiligen Land aufhältigen illegalen Drittstaatsangehörigen regele, die Dublin-Verordnungen der Etablierung einer überwachten Übergabe von Asylbewerbern an die Behörden des zuständigen Mitgliedsstaates dienten. Es führte weiter aus, dass bei ausbleibender Übergabe innerhalb der laufenden Überstellungsfrist die Zuständigkeit hinsichtlich des Asylverfahrens auf den überstellenden Mitgliedstaat übergehe. Den von den Dublin-Verordnungen erstrebte Verantwortungsübergang aber vermöge die freiwillige Ausreise nach der Rückführungsrichtlinie nicht zu begründen. Laut dem BVerwG erkläre dies, warum die freiwillige Ausreise nicht in den Dublin-Verordnungen enthalten sei, denn diese setze nur die staatlich überwachte Überstellung fest, auch wenn diese auf Initiative des Asylbewerbers erfolge.
Das BVerwG erklärte, dass § 34a AsylVfG mit dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang stehe. Laut dem BVerwG dürfen unter diesem Grundsatz Grundrechte nur dann eingeschränkt werden, wenn dies dem Gemeinwohl dient und erforderlich ist. Das BVerwG stellte fest, dass Ziel des § 34a AsylVfG die Gewährleistung einer den Dublin-Verordnungen entsprechenden Überstellung sei, was ein Gemeinwohlziel darstelle.
Das BVerwG bestätigte, dass der deutsche Gesetzgeber Verwaltungszwang als grundsätzlich erforderlich ansehen durfte.
Zudem erklärte es, dass das Regel-Ausnahme-System der Dublin-Regelungen zugunsten der behördlich überwachten Überstellung so auch in anderen, am Dublin-Verfahren teilnehmenden Staaten, geregelt werde. Das BVerwG legte dar, dass sichergestellt sein müsse, dass der zu überstellende Asylbewerber an seinem Bestimmungsort ankomme, weshalb die freiwillige Rückkehr nur dann in Betracht komme, wenn keine Veranlassung zu der Annahme bestehe, dass das Rückkehrverfahren dadurch gefährdet werde. Die Initiative zu einer freiwilligen Rückkehr müsse nach dem BVerwG jedoch in jedem Fall von dem Asylbewerber ausgehen und der Antragsteller muss sich grundsätzlich auch die finanziellen Mittel für die freiwillige Ausreise beschaffen.
Das BVerwG führte ferner aus, dass die Zuständigkeit der Behörden der Bundesländer mit dem Vollzug der Überstellungsentscheidung aufgrund der föderalen Struktur Deutschlands und deren Bindung an das nationale Recht nicht zu beanstanden sei.
Nichtsdestotrotz merkte das BVerwG an, dass die Behörden der Bundesländer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen müssen, wenn sie den Einzelfall prüfen und die freiwillige Ausreise als Ausnahme von der bewachten Ausreise in Betracht ziehen müssen. Dass Gericht stellte fest, dass, wenn der Behörde nach Prüfung der Umstände des konkreten Falles eine rechtzeitige Überstellung bei einer selbstorganisierten Ausreise gesichert erscheint, die zuständige Ausländerbehörde dem Ausländer diese Überstellungsmöglichkeit einräumen muss. Das BVerwG hielt dies geboten, weil zum einen unmittelbarer Zwang in die persönliche Freiheit eingreife und zum anderen die Einreisesperre lediglich aus einer zwangsweisen Abschiebung nach § 11 AufenthG folge.
Das BVerwG legte ferner dar, dass die Pflicht das mildeste Mittel zu wählen (freiwillige Ausreise) nicht nur aus dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern ebenso aus der Anwendung nationalen Rechts folge. Es erklärte, dass die deutschen Vollstreckungsbehörden dasjenige Mittel auswählen müssen, das den Pflichtigen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.. Soweit zur Abwehr einer Gefahr mehrere Mittel in Betracht gezogen werden, kann der Betroffene die Anwendung eines anderen ebenso wirksamen Mittel (Austauschmittel) beantragen, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird. Jedoch hat die Initiative zur Wahl eines anderen Mittels vom Betroffenen auszugehen. Das BVerwG stellte auch klar, dass die Möglichkeit dem Antragsteller eine freiwillige Ausreise zu gestatten, zudem dem Ziel der Transparenz des Dublin-Verfahrens entspreche.
Das BVerwG stellte sodann fest, dass die Abschiebungsanordnung nicht rechtswidrig ist, weil diese keine Belehrung über die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung ohne Verwaltungszwang enthalte. Es argumentierte, dass auch wenn nach Art. 19 (2) Dublin II-VO von der zuständigen Behörde „gegebenenfalls der Zeitpunkt und der Ort zu nennen sei, zu dem bzw. an dem sich der Antragsteller zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt“, sich bereits aus dem Wortlaut der Norm („gegebenenfalls“) ergebe, dass entsprechende Angaben nur dann zu machen sind, wenn dem Asylbewerber die Möglichkeit der Überstellung auf eigene Initiative eingeräumt werde. Das BVerwG kam zu dem Schluss, eine entsprechende Vorgehensweise obläge der Zuständigkeit der Ausländerbehörde, weshalb die Frage beiseite gelegt wurde, da Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens nur der Bescheid des BAMF war.
Zuletzt stellt das BVerwG fest, dass auch das Erfordernis des § 34a Abs. 1 AsylVfG vorlag, da die angefochtene Abschiebungsanordnung zum maßgeblichen Zeitpunkt noch durchführbar gewesen sei, weil die Überstellungsfrist nicht verstrichen war, da das BAMF sein Übernahmeersuchen an Italien nicht auf einen in Italien gestellten Asylantrag gestützt hatte, sondern als Folge eines illegalen Grenzübertrittes. Deshalb war die maßgebliche Frist für die Überstellung zwei Monate und nicht zwei Wochen.
Die Revision des Antragsstellers wird als unbegründet zurückgewiesen und die Aufhebung der Abschiebungsanordnung abgelehnt.
VG Stuttgart, Urteil vom 5. Mai 2014 – VG A 4 K 1410/14 (Erstinstanz)
VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2014 – VGH A 11 S 1285/14 (Zweitinstanz)
This case summary was written by Linklaters LLP. This case summary was proof read by Language Connect.
Administrative Court of Mannheim (Verwaltungsgerichtshof Mannheim), Urteil dated 30.10.1991 – 3 S 2273/90
Federal Supreme Court of Switzerland (Schweizerisches Bundesgericht), Urteil dated 11.11.2013 – 2 C 861/2013 – BGE 140 II 74, 77
Federal Administrative Court (Bundesverwaltungsgericht), Urteil dated 17.06.2014– 10 C 7.13 – BVerwGE 150, 29
French Conseil d’Etat (Französisches Conseil d’Etat), Urteil dated 11.10.2011 – No. 353002
Administrative Court of Mannheim (Verwaltungsgerichtshof Mannheim), Urteil dated 10.11. 2014 – A 11 S 1778/14 – DVBl 2015, 118, 123)
Federal Administrative Court (Bundesverwaltungsgericht), Urteil dated 11.09.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251