Deutschland - Bundesverwaltungsgericht, 1 C 10.15

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Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
22-03-2016
Citation:
1 C 10.15
Court Name:
Bundesverwaltungsgericht
Relevant Legislative Provisions:
European Union Law > Treaty on the Functioning of the European Union 2010/C 83/01
European Union Law > EN - Asylum Procedures Directive, Council Directive 2005/85/EC of 1 December 2005 > Art 19
European Union Law > EN - Charter of Fundamental Rights of the European Union > Article 4
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 2
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 3
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 4
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 5
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 9
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 16
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 17
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 18
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 19
European Union Law > EN - Dublin II Regulation, Council Regulation (EC) No 343/2003 of 18 February 2003 > Article 20
European Union Law > EN - Dublin III Regulation, Council Regulation (EC) No. 604/2013 of 26 June 2013 (recast Dublin II Regulation) > Article 49
National / Other Legislative Provisions:
Germany - Basic Law - Article 16a
Germany - Section 113 (1) 1 VwGO (Code of Administrative Court Procedure)
Germany - Section 154 (2) VwGO (Code of Administrative Court Procedure)
Germany - Section 26a AsylG(Asylum Act)
Germany - Section 27a AsylVfG (Asylum Procedure Act)
Germany - Section 27a AsylG (Asylum Act)
Germany - Section 34a (1) 1 AsylVfG (Asylum Procedure Act)
Germany - Section 34a (1) 1 AsylG (Asylum Act)
Germany - Section 77 (1) AsylVfG (Asylum Procedure Act)
Germany - Section 77 (1) AsylG (Asylum Act)
Germany - Section 83 b AsylG (Asylum Act)
Germany - Section 6 (1) 1 AufenthG (German Residence Act)
Germany - Section 60 (1) AufenthG(German Residence Act)
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Headnote: 

Stimmt ein von Deutschland ersuchter EU-Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylantragstellers auf der Grundlage der Dublin II-Verordnung zu, ist eine Überstellung in den um Aufnahme ersuchten Mitgliedstaat auch dann noch möglich, wenn ein Antragsteller nach der Zustimmung seinen Asylantrag auf die Gewährung subsidiären Schutzes beschränkt.

Facts: 

Die Kläger, iranische Staatsangehörige, reisten im Mai 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. In ihren iranischen Reisepässen befanden sich spanische Schengen-Visa. Zur Begründung ihrer Asylanträge gaben die Kläger an, dass sie in ihrem Heimatland politisch verfolgt worden seien.

Am 27. Mai 2011 ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge („Bundesamt“) Spanien um Übernahme des Asylverfahrens nach der Dublin II-Verordnung. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 13. Juni 2011 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gem. Art. 9 Abs.2 Dublin II-VO. Mit Bescheid vom 17. Juni 2011 entschied das Bundesamt sodann, dass die Asylanträge der Kläger unzulässig sind und ordnete deren Abschiebung nach Spanien an.

Am 28. Juni 2011 nahmen die Kläger ihre Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte gem. Art. 16 a Abs. 1 GG sowie auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs.1 AufenthG zurück und beschränkten ihre Anträge auf die Feststellung subsidiären Schutzes.

Mit Bescheid vom 30. Juni 2011 stellte daraufhin das Bundesamt die Asylverfahren der Kläger ein, erhielt jedoch die Abschiebungsanordnung aufrecht.

Das Verwaltungsgericht Ansbach gewährte vorläufigen Rechtsschutz und hob mit Urteil vom 16. Mai 2012 die Anordnung der Abschiebung auf. Durch die Rücknahme der Asylanträge mit ex-tunc-Wirkung sei die Zuständigkeit Spaniens für die Bearbeitung der Asylanträge rückwirkend wieder entfallen, da der Anwendungsbereich der Dublin II-VO nur Asylanträge, nicht dagegen den sog. subsidiären Schutz umfasse.

Mit Urteil vom 21. Mai 2015 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (“VGH“) das Urteil des Verwaltungsgerichtes geändert und die Klage abgewiesen. Unabhängig von der Frage, ob unter einem Asylantrag im Sinne der Dublin II-VO lediglich der Antrag auf Flüchtlingsschutz oder auch der auf subsidiären internationalen Schutz zu verstehen sei, sei im vorliegenden Fall die Zuständigkeit Spaniens mit dessen Zustimmung begründet worden, und diese sei durch die Rücknahme der Asylanträge nicht wieder entfallen. Die Erteilung der Zustimmung entfalte für die Zuständigkeitsbestimmung gleichsam konstitutive Wirkung. Die Zustimmung beende das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (der Hauptzweck der Dublin II-VO – die Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats – sei damit erreicht).

Dem Asylantragsteller sei es verwehrt, gegen eine durch Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats begründete Zuständigkeit vorzugehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union („EuGH“) (Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 - Abdullahi) könne der Antragsteller dem nur insoweit entgegentreten, als er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend mache, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union („GRC“) ausgesetzt zu werden.

Die Kläger wendeten sich mit ihrer Revision gegen die Rechtsauslegung des Berufungsgerichts. Sie machten geltend, das Berufungsgericht habe das geltende Recht verletzt, weil es den § 27a AsylVfG nicht in Übereinstimmung mit EU-Recht und insbesondere mit Dublin II-Verordnung auslegt habe. Die Kläger wendeten ein, Dublin II-Verordnung sei infolge der Rücknahme der Asylanträge der Kläger nicht anwendbar gewesen. Aus ihrer Sicht folgt dies aus der Definition des Begriffes „Asylantrags“ i.S.v.  Art. 2 Buchst. c Dublin II-VO. Daraus ergebe sich, dass die Dublin II-Verordnung nur auf Anträge anwendbar sei, mit denen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, nicht aber auf solche, mit denen unionsrechtlicher subsidiärer Schutz begehrt werde. Somit war die Dublin II-Verordnung nicht auf den Antrag auf Gewährung des subsidiären Schutzes anwendbar.

 
Decision & Reasoning: 

Das Gericht entschied, dass die Revision der Kläger unbegründet ist. Das Gericht erhielt die Abschiebungsanordnung aufrecht und führte aus, die Kläger seien nicht in ihren Rechten verletzt.

Das Gericht führt weiter aus, dass es nach ständiger Rechtsprechung, Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eingetreten seien, zu berücksichtigen habe.Dies schließe die Änderungen des Asylgesetzes (AsylG) durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren und das Gesetz zur Erleichterung von straffälligen Ausländern  und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern (beide Gesetze vom März 2016) ein. Des Weiteren folgte das Gericht der Ansicht des VGH und bestätigte, dass die §§ 34a , 27a AsylG die richtige Rechtsgrundlage darstellen. 

In diesem Zusammenhang führt das Gericht weiter aus, gem. 27a AsylG könne der Antragsteller in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden (die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats bestimmt die Dublin II-VO,da der Antrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden war), und die Kläger hätten auch kein Recht auf eine Überprüfung der Asylanträge nach der Dublin II-VO durch einen bestimmten Mitgliedsstaat.

Das Gericht geht aufgrund der Dublin II-VO von der originären Zuständigkeit Spaniens aus. Es führt dazu aus, die Zuständigkeit sei nicht wegen der Rücknahme der Asylanträge auf Deutschland übergegangen.

Dem Gericht zufolge war Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig(aufgrund der Erteilung der Schengen-Visa an die Kläger), Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO. Danach ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Das Gericht erklärte, die Zuständigkeit sei auch nicht nachträglich auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Ein Übergang der Zuständigkeit sei zunächst nicht deswegen gegeben, weil die Überstellung nach Spanien nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgt sei. Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Mit "Entscheidung über den Rechtsbehelf" sei die Entscheidung gemeint, mit der das Gericht "über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens" entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann. Werde die aufschiebende Wirkung - wie hier - gewährt, so beginne die Überstellungsfrist erst mit der Entscheidung in der Hauptsache zu laufen.

Die Zuständigkeit Spaniens entfalle auch nicht durch die Rücknahme der Asylanträge. Dies begründete das Gericht wie folgt:

·         Das Gericht folgte der Rechtsansicht der Kläger dazu, dass der Begriff "Asylantrag" im Sinne von Art. 2 Buchst. c Dublin II-VO  die Anträge auf den unionsrechtlichen subsidiären Schutz nicht einschließt. Das Konzept des subsidiären Rechtsschutzes sei zu einem Bestandteil des EU-Rechtsrahmens im Asylbereich erst mit der Annahme der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004– sog. Qualifikationsrichtlinie –geworden.

·         Im Zeitpunkt der Rücknahme der Asylanträge durch die Kläger am 28. Juni 2011 war die Annahme des Übernahmegesuches durch Spanien (13. Juni 2011) bereits erfolgt und das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats damit abgeschlossen.

·         Das Gericht liefert folgende Argumente für seine Entscheidung bzgl. der Wirkung der Zustimmung zur Übernahme seitens  Spaniens bei der Bestimmung der Zuständigkeit nach Dublin II-VO/ Bestehen der Wirkung auch nach der Rücknahme der Asylanträge:

·         Die Zuständigkeit könne dann nach den Kriterien der Dublin II-VO begründet werden, wenn die Zuständigkeit anlässlich der ersten Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat entweder durch Nichteinleitung eines Aufnahmeverfahrens (wegen angenommener eigener Zuständigkeit oder Ausübung des Selbsteintrittsrechts) oder durch Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats zu einem Aufnahmeersuchen anerkannt worden ist. Die Feststellung der Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrages iSv. Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO bedingt somit einen Akt des MS.

·         Das Gericht führt aus,  diese Ansicht werde durch die Zustimmungsfiktion des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO gestützt, die auch dann die Zuständigkeit begründet, wenn die Voraussetzungen der Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Dublin II-VO nicht erfüllt sind.

·         Das Gericht stützt seine Entscheidung insbesondere auf das Urteil des EuGH vom 3. Mai 2012 - C-620/10 - Kastrati. Dem Gericht zufolge hat der EuGH dort die Frage geklärt, ob die Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin II-VO auch nach der Rücknahme des Asylantrages Anwendung finden.  Die Dublin II-VO sei danach nicht mehr anzuwenden, wenn die Rücknahme des Asylantrags erfolgt, bevor der für die Prüfung dieses Antrags zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat. Das Gericht wiederholt die Argumentation des EuGH,  der Hauptzweck der Dublin II-VO, d.h. die Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, könne nicht mehr erreicht werden. Dem Gericht zufolge ist der VGH zurecht davon ausgegangen, dass in Fällen, in denen die Rücknahme des Asylantrags nach Zustimmung zur Übernahme erfolgt, die Dublin II-VO weiter Anwendung findet.

Mit Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung betont das Gericht, Dublin-VO gewähre dem Einzelnen kein allgemeines Recht auf Prüfung des Asylantrages durch einen bestimmten Mitgliedstaat. In diesem Zusammenhang  und in Übereinstimmung mit der VGH-Entscheidung nimmt das Gericht Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10. Dezember – C-394/12 – Abdullahi) . Der EuGH habe dort entschieden, dass in einer Situation wie der vorliegenden, in der der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers zugestimmt hat, der Betroffene der Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Asylbewerber in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen, nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Aufnahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC ausgesetzt zu werden.

Outcome: 

Die Revision wird zurückgewiesen.

Observations/Comments: 

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes beruht im Wesentlichen auf der EuGH-Entscheidung Kastrati. Die Betonung durch das Gericht der Bedeutung der Handlungen eines Mitgliedstaats im Laufe eines Dublin-II-Verfahrens und der durch den Mitgliedsstaat getroffenen Entscheidungen für den Zeitpunkt, in dem Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit das Dublin-II-Verfahren als endgültig abgeschlossen gilt, scheint jedoch besonders erwähnenswert.

VG Ansbach vom 16. Mai 2012 – VG AN 3 K 11.30419 (Erstinstanz). VG Ansbach vorläufigen Rechtsschutz und hob die Anordnung der Abschiebung auf.

VGH München vom 21. Mai 2015 - VGH 14 B 12.30323(Zweitinstanz).Verwaltungsgerichtshof das Urteil des VG Ansbach geändert und die Klage abgewiesen.

This case summary was written by Linklaters LLP and proof read by Ann-Christin Bolter, an LLM graduate in Human Rights Law at Queen Mary's University, London.