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Home ›Deutschland - Bundesverfassungsgericht, 2 Mai 2016, 2 BvR 273/16
Germany - Administrative Court Procedure Act - 51
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf der die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bulgarian anordnete verletzt ihn in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als allgemeinem Willkürverbot. Denn es war erforderlich, dass das Verwaltungsgericht die neuen verfügbaren Informationen zur Situation der Asylsuchenden und Schutztberechtigen in Bulgarien näher zu prüfen.Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird aufgehoben und die Sache wird an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 26. August 2014 in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) ein und beantragte am 27. Oktober 2014 Asyl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellte fest, dass er schon in Bulgarien Asyl begehrt hatte. Bulgarien lehnte das daraufhin gestellte Wiederaufnahmegesuch mit der Begründung ab, dass der Beschwerdeführer dort subsidiären Schutz erhalten habe.
Das BAMF stellte mit Bescheid vom 21. November 2014 fest, dass dem Beschwerdeführer in der BRD kein Asylrecht zustehe, da er schon in Bulgarien subsidiären Schutz erhalten habe. Es ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an.
Am 30. November 2015 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des Bescheids vom 21. November 2014. Der Bescheid sei rechtswidrig geworden, da nach aktuellen Erkenntnismitteln eine Rückführung anerkannt Schutzberechtigter nach Bulgarien nicht möglich sei. In Bulgarien bestünde für diese die Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung. Diese müssten dort auf der Straße leben, hätten keinen Zugang zu Krankenversicherung oder Arbeit und würden durch die Bevölkerung diskriminiert.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts verstößt gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Willkürverbot. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 1, 14 <52>; 98, 365 <385>; stRspr).
Nicht jede fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts stellt daher auch einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar. Von Willkür kann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>). Ein Richterspruch ist jedoch willkürlich und verstößt damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn er unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar ist (vgl. BVerfGE 70, 93 <97>; 96, 189 <203>).
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hält einer Überprüfung an diesem Maßstab nicht stand. Die Frage, ob einem in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt Schutzberechtigten eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht, die ein Abschiebungsverbot auslöst, erfordert, wie die Feststellung systemischer Mängel im Asylsystem, eine aktuelle Gesamtwürdigung der zu der jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen. Dabei kommt regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zu (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10, C-493/10 -, NVwZ 2012, S. 417 <420>). Vor diesem Hintergrund sind gerade Berichte, die eine schon zuvor dargestellte Lage in der Zeit fortschreiben, für die Feststellung solcher Mängel besonders relevant, so dass ihnen nicht ohne weiteres die Eignung als neues Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG abgesprochen werden kann. Dabei ist zu beachten, dass die zu beantwortende Frage Höchstgüter des deutschen und europäischen Verfassungsrechts betrifft, so dass es besonders sorgfältiger Prüfung bedarf, ob neue Stellungnahmen tatsächlich ohne Relevanz bleiben.
Vorliegend hätten deshalb die Stellungnahmen des Auswärtigen Amts vom 23. Juli 2015 an das VG Stuttgart und die Auskunft von Dr. Valeria Illareva, einer bulgarischen Anwältin, an den VG Baden-Württemberg vom 27. August 2015, näherer Prüfung unterzogen werden müssen. Dies gilt umso mehr, da der Bericht des UNHCR vom April 2014 durchaus positive Veränderungen der Situation erwartet hatte, so dass die Frage, ob diese (nur) erwarteten Veränderungen auch eingetreten seien, zwingend zu beantworten war. Die beiden vom Beschwerdeführer vorgelegten Berichte legten hingegen über ein Jahr später dar, dass keine positiven Veränderungen eingetreten seien, dass die Situation von anerkannt Schutzberechtigten vielmehr noch problematischer geworden sei als zuvor. Außerdem wurden spezifische Probleme der Krankenversorgung, des Zugangs zum Arbeits- und Wohnungsmarkt und der allgemeinen Diskriminierung Schutzberechtigter beschrieben. Vor diesem Hintergrund war es unter keinem Gesichtspunkt vertretbar, die neuen Stellungnahmen ohne weiteres für unerheblich zu erachten.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird aufgehoben und die Sache wird an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
This case summary was written by Avril Rushe, BPTC student at BPP University.
This case summary was proof-read by Emma Atkinson, LPC student at BPP University.
Stellungnahmen des Auswärtigen Amts vom 23. Juli 2015 an das VG Stuttgart
Auskunft von Dr. Valeria Illareva, einer bulgarischen Anwältin, an den VG Baden-Württemberg vom 27. August 2015
Bericht des UNHCR vom April 2014
Germany - Federal Constitutional Court 70, 93; 96, 189
Germany - Federal Constitutional Court 87, 273; 96, 189
Germany - Federal Constitutional Court 1, 14; 98, 365