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Home ›Deutschland – Verwaltungsgericht Magdeburg, 26.Juni 2017, 5 A 61/17 MD
European Union Law > EN - Recast Asylum Procedures Directive 2013/32/EU of the European Parliament and of the Council
European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011 > Article 6
European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011 > Article 7
European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011 > Article 10
(7)
(8)
Germany - AufenthG (Residence Act) - § 11 (1)
Germany - AsylG (Asylum Law) - Article 3 (1)
(2)
(4)
Germany - AsylG (Asylum Law) - Article 77 (1)
Germany - AsylG (Asylum Law) - Article 3b
Germany - AsylG (Asylum Law) - Article 3a (1)
(3)
Germany - AsylG (Asylum Law) - Article 3c
Germany - AsylG (Asylum Law) - Article 83b
Germany - VwGO (Code of Administrative Court Procedure) § 113 (5)
Germany - VwGO (Code of Administrative Court Procedure) § 67 (2) Nr. 3 – 7
Germany - VwGO (Code of Administrative Court Procedure) § 67 (4)
1. Afghanische Staatsangehörige, die für internationale Hilfsorganisationen gearbeitet haben, sind in besonderem Maße gefährdet im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer politischen Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG durch regierungsfeindliche Gruppen (insbesondere Taliban) ausgesetzt zu sein.
2. Es bietet sich auch keine inländische Fluchtalternative für diese Personen. Sie haben keine Möglichkeit, sich einem Zugriff durch die regierungsfeindlichen Gruppierungen zu entziehen, da diese Gruppierungen über ein breites Informationsnetzwerk verfügen und ein gesteigertes Interesse an Personen haben, die mit internationalen Hilfsorganisationen zusammengearbeitet haben.
Der Kläger, afghanischer Staatsangehöriger, zur Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und muslimischen Glaubens reiste am 18.06.2015 in die BRD ein und stellte am 03.08.2015 einen Asylantrag. Im Rahmen seiner Anhörung trug er vor, seit dem Jahr 2002 als Transportbeauftragter beim UNHCR tätig gewesen zu sein. Er wurde mehrmals seitens der Hezb-i-Islami Gruppierung angesprochen und aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten, insbesondere sie über den Transport von Ausländern zu informieren.
Als er daraufhin nicht reagierte, erhielt er mehrere Drohanrufe sowie einen Drohbrief mit Morddrohungen dieser Gruppierung und es wurde auf ihn und seine Familie geschossen als sie im Auto saßen.
Mit Bescheid vom 26.01.2017 wurde der Asylantrag abgelehnt und der Kläger zur Ausreise aufgefordert. Zur Begründung führte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) u.a. aus,
- dass der Kläger zwar vorverfolg ausgereist und auch der Tatbestand des § 3 AsylG zum Zeitpunkt der Anhörung erfüllt gewesen ist, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft jedoch daran scheitere, dass die Gruppierung Hezb-i-Islami einen Friedensvertrag unterzeichnet habe und somit davon auszugehen ist, dass dem Kläger künftig keine Verfolgung mehr durch diese Gruppierung drohe.
- dass soweit er vorgetragen habe, ihm drohe bei Rückkehr eine Verfolgung durch die Taliban, er keine individuelle Verfolgungshandlung vortragen konnte, die ihn persönlich betroffen habe. Am 3.02.2017 hat der Antragssteller Klage gegen den Ablehnungsbescheid erhoben. In der mündlichen Verhandlung legte der Kläger weitere, aktuelle Drohbriefe der „Mujaheddin“ sowie der Taliban vor.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Das BAMF ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger vorverfolgt ausgereist und der Tatbestand des § 3 AsylG zum Zeitpunkt der Anhö- rung erfüllt gewesen ist. Es ist allerdings zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Kläger im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung drohe. Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen von regierungsfeindlichen Gruppierungen, bei der es sich auch um eine „politische“ Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG handelt.
Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe ist es ausreichend, wenn diese Merkmale dem Asylantragssteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (verwiesen wird auf das angloamerkanische Auslegungsprinzip der „imputed political opinion“). Personen, die für Hilfsorganisationen gearbeitet haben, gehören zu den Zielgruppen regierungsfeindlicher Gruppierungen und sind daher in besonderem Maße gefährdet, Opfer von Entführungen, Tötungen oder sonstigen Übergriffen zu werden. Die Islamische Republik Afghanistan ist erwiesenermaßen nicht in der Lage, Schutz vor der Verfolgung der nichtstaatlichen Akteure zu bieten. Dem Kläger steht keine zumutbare inländische.
Fluchtalternative zur Verfügung, um bei seiner Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgung durch regierungsfeindliche Gruppierungen auszuweichen, dabei ist insbesondere auch das (Informations-)netzwerk der Taliban zu berücksichtigen. Diese Überlegungen stützt das Gericht auch auf das aus zahlreichen Berichten hervorgehende gesteigerte Interesse der Taliban an der Person des Klägers aufgrund seiner jahrelangen Arbeit für den UNHCR. Außerdem wird verwiesen auf den seit dem Jahr 2015 erfolgten Anstieg von Angriffen der Taliban auf Personen, die mit internationalen Organisationen zusammengearbeitet haben und auf die Tatsache, dass seine Familie noch immer an ihn gerichtete Drohbriefe mit Todesdrohungen erhält. Somit kommt das Gericht zu dem Schluss, dass es dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mehr möglich sein wird, sich einem Zugriff durch die Taliban zu entziehen.
Die Klage gegen den Ablehnungsbescheid ist erfolgreich. Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.
This case summary was written by Merle Bannach.
Germany - Administrative Court Munich, decision from 02 December 2014 – M 24 K 14.30759
Germany - High Administrative Court Baden-Württemberg (VGH), decision from 06 march 2012 – 11 S 3070/11
Germany - High Administrative Court Lüneburg (OVG), decision from 28 July 2014 – 9 LB 2/13
Germany - Federal Administrative Court (BVerwG), decision from 26 October 1989 – 9 B 405.89
Germany - BVerwG, judgement of 6th March 1990 - 9 C 14.89 -,BVerwGE 85, 12 Germany - OVG Rheinland- Pfalz, resolution of 15th September 2016 - 1 A10655/16.OVG
Germany - Federal Administrative Court, 31.01.2013 – 10 C 15.12