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Home ›Deutschland – Bundesverwaltungsgericht, 20. August 2018, 1 B 18.18
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European Union Law > EN - Recast Qualification Directive, Directive 2011/95/EU of 13 December 2011
Germany - §§ 60 Abs. 5
Abs. 7 S. 1
5; 60a Abs. 1 S. 1 AufenthG (Residence Act)
Germany - §§ 24 Abs. 2; 31 Abs. 3 S. 1; 83b AsylG (Asylum Act)
Germany - §§ 132 Abs. 2 Nr. 1; 154 Abs. 2 VwGO (Rules of the Administrative Courts)
Germany - § 30 Abs. 1 S. 1
Abs. 2 RVG (Lawyers' Compensation Act)
Der Abschiebung von im Ausland anerkannten Flüchtlingen in den Staat ihrer Anerkennung steht das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegen, wenn die sie dort erwartenden Lebensverhältnisse Art. 3 EMRK widersprechen. Das setzt voraus, dass die Situation im Zielstaat das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht, eine „Extremgefahr" im Sinne der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ist aber keine Voraussetzung.
Ein syrischer Staatsangehöriger, der in Bulgarien als Flüchtling anerkannt wurde, kann wegen der ihn dort erwartenden Lebensverhältnisse nicht nach Bulgarien abgeschoben werden.
Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste im Jahr 2014 über die Türkei, Bulgarien und die Niederlande in die Bundesrepublik Deutschland ein. 2014 wurde ihm in Bulgarien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Im Jahr 2015 stellte er in Deutschland einen Asylantrag, welcher als unzulässig abgewiesen wurde, da ihm bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden sei. Zeitgleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Bulgarien angedroht.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage auf Aufhebung des ablehnenden Bescheides und Verpflichtung zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots in Bezug auf Bulgarien ab.
Die gegen das Urteil gerichtete Berufung des Klägers zum Oberverwaltungsgericht war erfolgreich. Das Oberverwaltungsgericht änderte das Urteil des Verwaltungsgerichts, hob die Abschiebungsandrohung auf und verpflichtete das Verwaltungsgericht, ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Die beklagte Bundesrepublik Deutschland erhob daraufhin Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zum Bundesverwaltungsgericht.
Das Bundesverwaltungsgericht untersucht die Frage, ob der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Revisionsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gegeben ist. Die Beschwerdeführerin sieht diese Voraussetzung für die Zulassung der Revision aufgrund zweier im vorliegenden Fall aufgeworfener Rechtsfragen als erfüllt an.
Erstens sei klärungsbedürftig, welcher Schweregrad einer auf die allgemeinen Verhältnisse zurückzuführenden Situation für ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erforderlich ist, insbesondere ob eine „Extremgefahr“ im Sinne der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Voraussetzung ist.
Zweitens sieht die Beschwerdeführerin rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob im Sinn einer zielstaatsbezogenen Gefahrenursache das Vorhandensein einer Unterkunftsmöglichkeit in die Prognose für Abschiebungsschutzgründe einzustellen sei und ob für die Einholung einer diesbezüglichen Zusage des Zielstaates das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder die Ausländerbehörde zuständig sei.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist keine der vorgebrachten Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung. Die Beschwerde hat daher keinen Erfolg.
Hinsichtlich der ersten Rechtsfrage geht das BVerwG auf die ständige Rechtsprechung deutscher Gerichte sowie des EGMR zu Art. 3 EMRK und des EuGH zu Art. 4 GRC ein. Eine „erniedrigende Behandlung“ im Sinne von Art. 3 EMRK setze kein vorsätzliches und zweckgerichtetes Handeln voraus. Systematische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen können demnach ausreichend sein, sofern sie ein „Mindestmaß an Schwere“ überschreiten, welches einzelfallabhängig zu bestimmen sei. Dabei müsse sich der Betroffene in einer „besonders gravierenden Lage“ befinden, schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat reichen nur in Ausnahmefällen aus. Das BVerwG führt aus, dass Mitgliedstaaten eine gesteigerte Verantwortlichkeit gegenüber Asylsuchenden haben, da diese eine besonders verletzliche Gruppe bilden, die vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sei. Schlechte Lebensbedingungen können daher das „Mindestmaß an Schwere“ erreichen. Diese Grundsätze seien auf anerkannte Flüchtlinge übertragbar, „wenn sie ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu medizinischen Basisbehandlung erhalten“. Eine „Extremgefahr“ im Sinne der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sei aber keine Voraussetzung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
Hinsichtlich der zweiten von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Rechtsfrage führt das BVerwG aus, dass diese sich durch den Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften beantworten ließe. Die Sicherstellung einer Unterkunftsmöglichkeit im Zielstaat sei eine für das Abschiebungsverbot relevante Tatsache, welche das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach dem Untersuchungsgrundsatz des § 24 Abs. 1 AsylG ermitteln müsse. Als zielstaatsbezogene Tatsache sei für die Einholung einer diesbezüglichen Zusage durch die Behörden des Zielstaates das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig.
Beschwerde zurückgewiesen
Diese Zusammenfassung wurde von Felicia Jaspert, LL.M. (GWU) geschrieben. Sie ist Doktorandin an der Universität Heidelberg.
Zitierte Rechtsprechung des Mitgliedsstaats
BVerwG, 1. April 2014, 1 B 1.14
BVerwG, 14. Februar 2018, 1 B 1.18
BVerwG, 31. Januar 2013, 10 C 15.12
BVerwG, 2. August 2017, 1 C 37.16
BVerwG, 24. April 2017, 1 B 22.17
OVG Magdeburg, 31. August 2016, 3 L 94/16
CJEU - C-578-16, C. K. and Others, 16 February 2017
CJEU - C-411/10 and C-493/10 N.S. v Secretary of State for the Home Department and ME (UP)