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Home ›Deutschland – Bundesverfassungsgericht (BVerfG), 08.05.2017, Herr H., 2 BvR 157/17
Das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG gewährt ein Recht auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle, deren Umfang vom betroffenen Recht abhängig ist. Bei einem möglichen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 3 EMRK kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) eine verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Dieser kommt das Gericht nicht ausreichend nach, wenn es das Vorbringen des Antragsstellers hinsichtlich der Zugänglichkeit zu Sozialleistungen für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland nicht ausreichend würdigt.
Der Beschwerdeführer war ein syrischer Staatsangehöriger, dem bereits in Griechenland internationaler Schutz gewährt wurde. Er begab sich dann nach Deutschland und stellte hier einen Asylantrag. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 8. November 2016 als unzulässig ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorlägen und drohte die Abschiebung nach Griechenland an. Hiergegen reichte der Antragssteller Klage ein und stellte mehrere Anträge auf Eilrechtsschutz, die alle abgelehnt wurde. Gegen diese Beschlüsse wendet er sich an das Bundesverfassungsgericht.
1. Das Gericht führt zunächst aus, dass das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur einen Anspruch darauf gibt, behördliche Entscheidungen anzufechten, sondern dass dieser Anspruch auch eine wirksame gerichtliche Kontrolle beinhaltet. Der Umfang dieser Kontrolle ist von dem Recht abhängig, in das eingegriffen wird. Wenn das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 3 der EMRK betroffen ist, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. In der Rechtsprechung des EGMR ist anerkannt, dass die Rückführung eines Flüchtlings in einen anderen Konventionsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK auch durch den rückführenden Staat darstellen kann, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort gegen Art. 3 EMRK verstoßende Bedingungen herrschen.
2. Das VG Minden hat mit seiner Begründung gegen diese Grundsätze verstoßen, da es sich lediglich darauf berufen hat, dass es für einen anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland andere Bedingungen gebe als für Asylbewerber und die Europäische Kommission Dublin-III-Abschiebungen nach Griechenland wieder zugelassen habe. Zwar sei es grundsätzlich richtig, dass nach der Genfer Flüchtlingskonvention sowie nach den Art. 20 ff. der RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) anerkannt Schutzberechtigen nur ein Anspruch auf Gleichberechtigung mit Inländern zustehe. Jedoch ist auch Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie zu beachten, der voraussetzt, dass bestimmte Integrationsleistungen erbracht werden müssen. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer dezidiert vorgetragen, dass ihm in Griechenland noch nicht einmal die geringen Leistungen, die Asylbewerbern zugestanden werden, gewährt werden würden. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR, nach der anerkannte Flüchtlinge eine besonders schutzwürdige Personengruppe darstellen, hätten sich die deutschen Behörden eine Zusicherung durch die griechischen Behörden einholen müssen, dass der Betroffene zumindest vorübergehend eine Unterkunft bekommt. Die Einschätzung der Kommission bezieht sich zudem nicht auf anerkannt Schutzberechtigte und kann somit nicht herangezogen werden. Zudem sei der EU-rechtliche Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens noch durch die vorliegenden systemischen Mängel in Griechenland erschüttert, weswegen es einer engen Kontrolle der Situation in Griechenland bedürfe.
3. Der Beschwerdeführer ist somit in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 2 GG verletzt, da ihm im Zielstaat der Abschiebung eine unmenschliche und entwürdigende Behandlung iSv § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK drohen könnte.
Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des VG Minden werden aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das VG Minden soll nunmehr feststellen, inwieweit dem Antragssteller im Januar 2017 Sozialleistungen in Griechenland zugänglich waren.
Germany - BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2017 - 2 BvR 890/16
Germany - BVerfGE 117, 71
Germany - BVerfGE 35, 263
Germany - BVerfGE 40, 272
Germany - BVerfGE 67, 43
Germany - BVerfGE 84, 34
Germany - BVerfGE 60, 253
Germany - BVerfGE 111, 307
Germany - BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16
Germany - BVerfGE 94, 49
Germany - BVerfGE 79, 365
Germany - BVerfGE 126, 1
Germany - BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16
Germany - BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. September 2014 - 2 BvR 732/1
Germany - BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/1
Germany - BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16