Österreich - Verwaltungsgerichtshof (VwGH), 16 May 2013, 2011/21/0185

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Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
16-05-2013
Citation:
VwGH 2011/21/0185
Court Name:
Verwaltungsgerichtshof (VwGH)
National / Other Legislative Provisions:
Austria - Bundes-Verfassungsgesetz (Federal Constitutional Law) - Art 129a
Austria - Fremdenpolizeigesetz (Aliens Police Act) 2005 - § 79
Austria - Administrative Penal Act - § 53c
Austria - Rules on Arrest
Austria - Police Detention Centre House Rules (BGBL. No. 566/1988)
Austria - Act on the Security Police
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Headnote: 

Ein Schubhäftling hat ein grundsätzliches Recht auf Besuchsempfang -auch in Bezug auf JournalistInnen -und ist das Unterbinden dieses Besuchsrechts für den Häftling mit Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat anfechtbar. Einem Journalisten hingegen, dem der Besuch zu einem Schubhäftling verweigert wurde, mangelt es an einer Beschwerdelegitimation, u.a. weil die Informationen, die ein Schubhäftling vermitteln könnte, nicht öffentlich zugänglich sind und demnach nach Art 10 EMRK keine staatliche Verpflichtung zur Ermöglichung des Zugangs zu diesen Informationen durch Gestattung des Besuches des Schubhäftlings besteht.

Facts: 

Der Zweitantragsteller ist freier Journalist. Am 07.02.2010 (innerhalb der Besuchszeit) beabsichtigte er, den damals im Polizeianhaltezentrum in Wien in Schubhaft angehaltenen Erstantragsteller zu besuchen und mit ihm zu Recherchezwecken für einen Artikel ein Gespräch zu führen. Der Besuch wurde ihm verweigert und mitgeteilt, dass Besuche von Schubhäftlingen durch JournalistInnen grundsätzlich nicht möglich seien. Hiergegen erhoben Erst- und Zweitantragsteller eine Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien. Die Beschwerden richteten sich gegen die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt (das Unterbinden des Kontakts zur Besuchszeit sowie das Unterbinden der Informationsäußerung bzw. -Empfanges). Es existiere keine rechtliche Grundlage für die Verweigerung des Besuchskontaktes. Darüber hinaus machten beide Antragsteller eine Verletzung in ihren Rechten nach Art 10 EMRK geltend, weil ein unverhältnismäßiger Eingriff in die von der „Pressefreiheit“ erfasste „aktive Informationsfreiheit“ des Erstantragstellers und „passive Informationsfreiheit“ des Zweitantragstellers durch Unterbindung der Mitteilung von Informationen bzw. durch die Unterbindung von Recherchetätigkeiten ohne gesetzliche Grundlage vorliege. Weiters machten beide Antragsteller eine Verletzung in ihrem durch Art 8 EMRK geschützten Recht, innerhalb der Besuchszeiten miteinander in Kontakt zu treten und Informationsaustausch zu betreiben, geltend; für diesen Eingriff fehle eine gesetzliche Grundlage und dieser sei unverhältnismäßig.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien wies die Beschwerden als unzulässig zurück. Begründende führte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien aus, dass der Erstantragsteller Beschwerde an den Kommandanten der Haftanstalt erheben hätte müssen, da es sich beim Besuchsrecht um ein Recht aus der Hausordnung handle. Dieser Weg stehe nur dem Erstantragsteller offen, es bestehe kein Rechtsanspruch von Journalisten oder sonstigen außenstehenden Personen (ausgenommen allenfalls von Familienangehörigen) Kontakte mit einer bestimmten Person trotz deren rechtmäßiger Haft zu pflegen.

Auch sei die Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt unzulässig, da die erzwungene Unterbrechung der Sozialkontakte aus der durch den Schubhaftbescheid legitimierten Freiheitsentziehung resultiere. Das bloße Nichtermöglichen des Besuchskontakts sei nicht als Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren. Ebenso wenig seien Anordnungen des Innenministeriums (von dessen Pressestelle die Besuchskontakte auch pro futuro untersagt wurden), die sich auf die Vollziehung der Anhalteordnung beziehen, als Ausübung von Befehlsgewalt zu qualifizieren, sondern als Weisungen.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Decision & Reasoning: 

Nach dem Verwaltungsstrafgesetz dürfen Häftlinge innerhalb der Amtsstunden Besuche empfangen, soweit dies unter Berücksichtigung der erforderlichen Überwachung ohne Gefährdung der Sicherheit und Ordnung sowie ohne Beeinträchtigung des Dienstbetriebes möglich sei.

Die Zurückweisung der Beschwerde durch den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien mit Verweis auf die ausschließlich mögliche Beschwerde an den Kommandanten der Haftanstalt sei rechtswidrig, da außer Acht gelassen worden sei, dass die Anhalteordnnung ausdrücklich einen sonst in der Rechtsordnung bestehenden Rechtsschutz unberührt lässt. Auch sei die Ansicht der belangten Behörde verfehlt, wonach das bloße Nichtermöglichen des Besuchsempfangs am 07.02.2010 keine Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstelle. Denn Umstände des Schubhaftvollzuges (Modalitäten der Haft) bzw. Vorkommnisse und Unterlassungen während des Schubhaftvollzuges können nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mittels Beschwerde angefochten werden. Der Unabhängige Verwaltungssenat hätte daher die Beschwerde des Erstantragstellers, soweit sie sich auf das Unterbinden des Besuchskontaktes zum Zweitantragsteller am 07.02. 2010 bezieht, inhaltlich behandeln müssen.

Die Zurückweisung der Beschwerde des Zweitantragstellers sei mangels Beschwerdelegitimation jedoch zu Recht erfolgt. Denn aus der Anhalteordnung ergäben sich nur Rechte für Häftlinge (wie den Erstantragsteller). Auch aus Art 8 EMRK ergebe sich keine Beschwerdelegitimation. Ebenso wenig sei Art 10 EMRK verletzt, da bloß die Behinderung der Beschaffung und der Ermittlung öffentlich zugänglicher Informationen durch (aktives) Eingreifen von Staatsorganen durch Art 10 EMRK erfasst sei. Die von Häftling erhältlichen Informationen seien jedoch nicht öffentlich, weswegen keine staatliche Verpflichtung zur Ermöglichung des Kontakts bestehe.

Die diesbezüglichen Rechtsverletzungen könnten nur vom Angehaltenen geltend gemacht werden.

Outcome: 

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Zurückweisung der Beschwerde des Erstantragstellers betreffend das Unterbinden des Kontakts zum Journalisten und das Unterbinden der Informationsäußerung ihm gegenüber zur Besuchszeit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen werden die Beschwerden des Erst- und Zweitantragstellers als unbegründet abgewiesen.

Subsequent Proceedings : 

Bezüglich Erstantragsteller (Schubhäftling):

Mit Bescheid vom 13.12.2013 zur Zahl UVS-02/V/13/10024/2011 erklärte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien das Unterbinden des Kontakts mit dem Journalisten für rechtswidrig.

Bezüglich des Zweitantragstellers (Journalist):

Nach Auskunft des Rechtsanwaltes des Journalisten vom 01.02.2014 hat dieser Beschwerde an den EGMR erhoben.

Observations/Comments: 

Bekämpfte UVS Wien-Bescheide:

UVS Wien 20.05.2010, UVS- 02/13/1620/2010 und UVS-02/13/1621/2010.

Other sources cited: 

Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2

Case Law Cited: 

Austria - Constitutional Court (VfGH), 20 September 2012, B 1359/11

Austria - Constitutional Court (VfGH), 17 June 1997, B 592/96

Austria - Constitutional Court (VfGH), 12 March 1997, B 1143/

Austria - Constitutional Court (VfSlg.), 14.787

Austria - Administrative Court (VwGH), 25 October 2012, 2012/21/0064

Austria - Constitutional Court (VfGH), 30 September 2002, B 423/01

Austria - Administrative Court (VwGH), 16 November 2012, 2012/21/0032

Austria - Administrative Court (VwGH), 14 April 2011, 2007/21/0322

Austria - Administrative Court (VwGH), 29 April 2010, 2008/21/0545

Austria - Administrative Court (VwGH), 29 September 2011, 008/21/0516

Austria - Constitutional Court (VfGH), 11 October 1988, B 1591/88

Austria - Constitutional Court (VfGH), 11 June 1990, B 417/90,

Austria - Constitutional Court (VfGH), 27 November 1995, B 3191/95

Austria - Constitutional Court (VfGH), 06 March 2000, B 75/00

Austria - Constitutional Court (VfSlg.), 11.297

Austria - Constitutional Court (VfGH), 25 November 2003, B 660/03

Austria - Administrative Court (VwGH), 18 December 1996, 96/18/0243

Austria - Administrative Court (VwGH), 07 November 1997, 96/19/1331

Austria - Administrative Court (VwGH), 13 March 1998, 96/19/2388

Austria - Administrative Court (VwGH), 07 July 2000, 2000/19/0025

Austria - Constitutional Court (VfGH), 16 October 1985, B 553/84

Austria - Administrative Court (VwGH), 11 December 1997, 95/20/0542

Austria - Administrative Court (VwGH), 21 June 2005, 2005/06/0034

Austria - Administrative Court (VwGH), 30 August 2007, 2006/21/0054

Austria - Administrative Court (VwGH), 30 August 2011, 2008/21/0559

Austria - Constitutional Court (VfGH), 16 March 1987, B 154/85