Österreich - Verwaltungsgerichtshof (VwGH), 16 Mai 2013, 2012/21/0072

ECRE is currently working on redeveloping the website. Visitors can still access the database and search for asylum-related judgments up until 2021.

Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
16-05-2013
Citation:
VwGH 2012/21/0072
Court Name:
Verwaltungsgerichtshof (VwGH)
National / Other Legislative Provisions:
Austria - Asylgesetz (Asylum Act) 2005 - § 10
Austria - Fremdenpolizeigesetz (Aliens Police Act) 2005 - § 46
Austria - Fremdenpolizeigesetz (Aliens Police Act) 2005 - § 52
Austria - Fremdenpolizeigesetz (Aliens Police Act) 2005 - § 55
Austria - Fremdenpolizeigesetz (Aliens Police Act) 2005 - § 55a
Austria - Fremdenpolizeigesetz (Aliens Police Act) 2005 - § 63
Austria - Fremdenpolizeigesetz (Aliens Police Act) 2005 - § 70
Austria - Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (General Administrative Procedure Act) 1991 - § 68
Printer-friendly versionPrinter-friendly versionPDF versionPDF version
Headnote: 

Gründe für die Erstreckung einer Frist zur Ausreise können sowohl jene sein, die im Inland bestehen, als auch jene, die im Ausland bestehen oder sonst einer Ausreise innerhalb der Frist entgegenstehen. Auch Probleme, die typischerweise auf ehemalige Asylwerber zutreffen, nämlich die lange Abwesenheit im Herkunftsstaat, die dortigen Umstände, so etwa der Wegfall des sozialen Netzwerks in Folge jahrelanger Abwesenheit, sind als besondere Umstände zu betrachten, die eine Verlängerung der Frist zur Ausreise erforderlich machen.

Zwar ist eine freiwillige Ausreise unbedingte Voraussetzung zur Verlängerung der Frist zur Ausreise, doch steht die Absicht der Stellung eines Antrags auf ein Bleiberecht nicht per se ein Hindernis dar. Vielmehr ist eine Beurteilung im Einzelfall erforderlich.

Facts: 

Der Antragsteller reiste 2006 gemeinsam mit seiner Ehefrau nach Österreich ein und sie beantragten Asyl. Im Jahr 2009 wurde ihr gemeinsamer Sohn geboren. Im Dezember 2011 wurden die Asylanträge sämtlicher Familienmitglieder abgewiesen, eine Ausweisungsentscheidung nach Weißrussland erlassen sowie eine 14-tägige Frist zur Ausreise gewährt sowie über die Möglichkeit des Antrags zur Verlängerung dieser Frist informiert.

Im Jänner 2012 beantragte die Familie fristgerecht die Verlängerung der Ausreisefrist bis 31.05.2012. Dieser Antrag wurde damit begründet, dass in Folge der sechsjährigen Abwesenheit aus Weißrussland, des Verlusts des dortigen sozialen Netzwerks, mangels Verfügbarkeit von Wohnraum, des strengen Winters in Weißrussland und der fehlenden Reisedokumente für den in Österreich lebenden Sohn eine Ausreise derzeit nicht zumutbar sei.

Der Antrag wurde zunächst durch die zuständige Bezirkshauptmannschaft abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass der tatsächliche Wille zur freiwilligen Ausreise Voraussetzung zur Erteilung des Aufschubs sei, die Antragsteller jedoch angegeben hätten, ein Bleiberecht zu beantragen. Bloß sehr kalte Winter und jahrelange Abwesenheit aus der Heimat während der Dauer des Asylverfahrens seien keine „besonderen Umstände" im Sinne des Gesetzes, die eine Fristverlängerung erfordern würden.

Den gegen diese Bescheide eingebrachten Berufungen gab der Unabhängige Verwaltungssenat Tirol statt und verlängerte die Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum 31.05.2013. Im Wesentlichen wurde darin ausgesprochen, dass die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe durchaus gewichtig wären, zumal der beabsichtigte Bleiberechtsantrag nicht zwingend den Schluss zulassen würde, dass keine freiwillige Ausreise beabsichtigt sei.

Gegen diese Bescheide richtete sich die Amtsbeschwerde des Bundesministeriums für Inneres.

Decision & Reasoning: 

Grundsätzlich ist zuzustimmen, dass die Erstreckung der Frist zu einer freiwilligen Ausreise voraussetze, dass die betroffene Person auch tatsächlich freiwillig zu diesem Zeitpunkt auszureisen beabsichtigt. Die Ansicht des Bundesministeriums für Inneres, dass im Fall der Beantragung eines Bleiberechts der Fremde „nach den allgemeinen Denkgesetzen, dass der Fremde in Wahrheit gar nicht freiwillig ausreisen will, weder jetzt noch in Zukunft" folgte der Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht. Vielmehr ist das eine Frage der Beweiswürdigung, die unter Beurteilung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen ist.

Die Amtsbeschwerde macht weiters geltend, besondere Umstände iSd § 55a Abs 1 FPG (zur Regelung der persönlichen Verhältnisse) seien nach der Intention des Gesetzgebers „ausschließlich Umstände im Inland", wie die Beendigung eines schon begonnenen Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes oder gleichwertige Gründe, nicht jedoch die von den Mitbeteiligten ins Treffen geführten Umstände. Das Fehlen eines gültigen Reisedokumentes und der Umstand, dass der Fremde im Heimatstaat nicht (mehr) über ein aufrechtes soziales Netz und eine bereitstehende Wohnung verfüge, sei bei ehemaligen Asylwerbern der Regelfall, sodass nicht von besonderen Umständen iSd § 55a Abs 1 FPG gesprochen werden könne. Das gelte auch für die Witterungsverhältnisse bzw. die gerade herrschende Jahreszeit im Heimatland des Fremden. Auch hierzu sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die „Besonderheit" der Umstände iSd Gesetzes darin liegt, dass sie die Notwendigkeit der Einräumung einer mehr als 14-tägigen Ausreisefrist begründet wird. Besondere Umstände können folglich - wie im konkreten Fall - auch jene sein, die bei ehemaligen Asylwerbern der Regelfall sind.

Die Verlängerung der Frist zur Ausreise wurde damit zu Recht erteilt.

Outcome: 

Die Amtsbeschwerde wurde abgewiesen.

Observations/Comments: 

Miterledigte Verfahren: 2012/21/0073, 2012/21/0074 betreffend Ehefrau und Kind des Antragstellers

Im konkreten Fall erhob das Bundesministerium für Inneres eine Amtsbeschwerde gegen den stattgebenden Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats. Durch eine Amtsbeschwerde hat das Bundesministerium die Möglichkeit der Ergreifung eines Rechtsmittels an den Verwaltungsgerichtshof. Die Abweisung der Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgte hier folglich zu Gunsten des Antragstellers.

Der Verwaltungsgerichtshof nimmt in der Entscheidung mehrfach Bezug auf die Judikatur zum Durchsetzungsaufschub (§ 70 FPG), der einen Aufschub von höchstens drei Monaten nach Rechtskraft einer Ausweisungsentscheidung oder eines Aufenthaltsverbots vorsieht. Die zitierten Entscheidungen betreffen daher eine frühere, aber vom Wesen her ähnliche gesetzliche Lage.

Other sources cited: 

Regierungsvorlage 1078 BlgNR 24. Gesetzgebungsperiode 30 f bzw. 43 f.

Case Law Cited: 

Austria - Administrative Court (VwGH), 18 April 2013, 2013/21/0001

Austria - Administrative Court (VwGH), 20 December 2007, 2007/21/0455

Austria - Administrative Court (VwGH), 31 March 2008, 2008/21/0127

Austria - Administrative Court (VwGH), 22 January 2009, 2008/21/0669

Austria - Administrative Court (VwGH), 13 December 2012, 2012/21/0246