Österreich - Verfassungsgerichtshof (VfGH), 27 September 2013, U1233/2013

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Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
27-09-2013
Citation:
U1233/2013
Court Name:
Verfassungsgerichtshof (VfGH)
National / Other Legislative Provisions:
Austria - Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (General Administrative Procedure Act) 1991 - § 73
Austria - Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (General Administrative Procedure Act) 1991 - § 13
Austria - Asylgesetz (Asylum Act) 2005 - § 17
Austria - Asylgesetz (Asylum Act) 2005 - § 25
Austria - Asylgesetz (Asylum Act) 2005 - § 34
Austria - Asylgesetz (Asylum Act) 2005 - § 35
Austria - Asylgesetz (Asylum Act) 2005 - § 61
Austria - Asylgesetz (Asylum Act) 2005 - § 75
Austria - Asylgesetz (Asylum Act) 1997 - § 7
Austria - Bundes-Verfassungsgesetz (Federal Constitutional Law) - Art 83 Abs 2
Austria - BVG über die Beseitigung rassischer Diskriminierung (Implementation of the International Convention on abolishment of all forms of racial discrimination) - Art I (1)
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Headnote: 

Durch die Zurückweisung einer Beschwerde durch den Asylgerichtshof im Fall eines Botschaftsantrags zur asylrechtlichen Familienzusammenführung wurde das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Durch die Annahme, dass kein Rechtsanspruch auf eine bescheidmäßige Entscheidung über einen solchen Antrag besteht, haben die Asylbehörden willkürlich gehandelt.

Facts: 

Die Antragstellerin ist Mutter zweier in Österreich asylberechtigter Kinder, darunter ein zum Zeitpunkt der Asylgewährung 2006 minderjähriger Sohn. Im Jänner 2007 stellte die Antragstellerin bei der Botschaft in Addis Abeba die Gewährung desselben Schutzes wie ihre Kinder (somit die Erteilung eines Einreisetitels). Im März 2007 teilte das Bundesasylamt der Botschaft mit, dass die Gewährung des Status als Asylberechtigte nicht wahrscheinlich sei. Die Botschaft wies daraufhin den Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels ab. Einer dagegen beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde wurde nicht stattgegeben.

Die Antragstellerin beantragte daher im Juli 2008 erneut, diesmal mittels Schriftsatz direkt an das Bundesasylamt in Österreich, die Gewährung desselben Schutzes. Das Bundesasylamt wies in einem Schreiben vom September 2008 darauf hin, dass der Antrag bei der Botschaft einzubringen sei, da die Antragstellerin mangels Anwesenheit in Österreich einen Visumsantrag persönlich einzubringen habe. Die Antragstellerin beantragte daraufhin am selben Tag die bescheidmäßige Erledigung beim Bundesasylamt. Auf diesen Antrag erfolgte keine Reaktion seitens des Bundesasylamts. Versuche, das Schreiben beim Asylgerichtshof bzw. beim Bundesministerium für Inneres zu bekämpfen blieben mangels Bescheidqualität des Schreibens vergeblich.

Die Antragstellerin brachte daher im März 2010 eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht an den Asylgerichtshof ein, da der Antrag auf bescheidmäßige Erledigung an das Bundesasylamt aus September 2008 unerledigt geblieben sei. Der Asylgerichtshof wies den Antrag als unzulässig zurück. Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass das Bundesasylamt aufgrund der gesetzlichen Lage, die bei im Ausland aufhältigen Angehörigen zwingend einen Einreiseantrag bei der Botschaft vorschreibt, keine Entscheidungspflicht habe.

Gegen diese Entscheidung brachte die Antragstellerin eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein und behauptete, im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie im Recht auf Achtung ihres Familienlebens verletzt zu sein.

Decision & Reasoning: 

Das Bundesasylamt hatte den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung desselben Schutzes aus Jänner 2007 zunächst als gegenstandslos abgelegt. Mit dem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens durch den Schriftsatz aus Juli 2008 hatte aber die Antragstellerin – im Einklang mit dem im an sie ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vertretenen Rechtsauffassung – hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie auf einer bescheidmäßigen Erledigung des Antrages auf Gewährung desselben Schutzes bestand. Damit bestand auf Grundlage der damals geltenden Stammfassung des § 35 Asylgesetz 2005 jedenfalls ein Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung durch das Bundesasylamt. Die dafür gemäß § 23 Abs 1 Asylgerichtshofsgesetz geltende sechsmonatige Entscheidungsfrist hat somit am 22.09.2008 zu laufen begonnen.

Ob eine allfällige Missachtung von Einbringungsvorschriften einer inhaltlichen Erledigung entgegensteht, ist für den Anspruch auf Erledigung irrelevant. Dieser besteht unabhängig davon, ob der Antrag prozessual oder inhaltlich zu erledigen ist und jedenfalls dann, wenn ein Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung behauptet wird. Es stand der Antragstellerin jedenfalls frei, auf der bescheidmäßigen Erledigung ihres als gegenstandslos abgelegten Antrages zu beharren, weil ansonsten keine Möglichkeit bestünde, über den Antrag im Familienverfahren in rechtsstaatlich einwandfreier Weise und nicht bloß nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen zu erkennen.

Der Asylgerichtshof hat durch die Zurückweisung des Antrags somit willkürlich gehandelt. Überdies wurde dadurch auch das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, da der Asylgerichtshof zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert hat.

Outcome: 

Der Beschwerde wurde stattgegeben und das Erkenntnis des Asylgerichtshofs aufgehoben.

Observations/Comments: 

Angefochtenes Erkenntnis des Asylgerichtshofs: AsylGH 19.04.2013, A1 402.021-3/2010.

Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, mit dem die Beschwerde gegen die Verweigerung des Einreisetitels durch die Botschaft abgewiesen wurde: VwGH 19.06.2008, 2007/21/0423.

Other sources cited: 

Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger: Verwaltungsverfahrensrecht, 9. Auflage (2011)

Case Law Cited: 

Austria - Administrative Court (VwGH), 29 March 2004, 2004/17/0024

Austria - Administrative Court (VwGH), 14 June 2005, 2005/18/0123

Austria - Constitutional Court (VfSlg.), 9240/1981

Austria - Constitutional Court (VfSlg.), 17.033/2003

Austria - Administrative Court (VwGH), 19 June 2008, 2007/21/0423

VfSlg. 9538/1982

VfSlg. 8628/1979

VfSlg. 16.737/2002

VfSlg. 16.079/2001

VfSlg. 15.858/2000

VfSlg. 15.482/1999

VfSlg. 16.717/2002

VfSlg. 16.298/2001

VfSlg. 16.066/2001

VfSlg. 15.738/2000

VfSlg. 15.372/1998