Österreich - Asylgerichtshof, 29 November 2013, S25 438541-1/2013

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Country of Decision:
Country of Applicant:
Date of Decision:
29-11-2013
Citation:
AsylGH 29.11.2013,
Additional Citation:
S25 438541-1/2013
Court Name:
Asylgerichtshof (Mag. NIEDERSCHICK)
National / Other Legislative Provisions:
Austria - Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl 2005 (Federal law regarding granting of asylum;
as amended): § 4
§ 5
§ 10
§ 18
§ 29
§ 30
§ 37
§ 41
§ 60
§ 61; § 66
Austria - Bundesgesetz über den Asylgerichtshof 2008 (Federal law for the Asylum Court;
Austria - Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (General Administrative Procedure Act) 1991
Austria - Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente 1982 (ZustG BGBl Nr 200/1982 idgF)
Austria - Gesetz über die Vorbeugung und Bekämpfung der Ansteckungen und der ansteckenden Krankheiten bei Menschen vom 20. Dezember 2008
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Headnote: 

Die Antragsteller brachten beim Bundesasylamt Anträge auf internationalen Schutz ein. Das Bundesasylamt lehnte diese mittels Bescheides ab und bestimmte die Ausweisung. Der Asylgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Bundesasylamtes, da kein Anlass gegeben war Österreich zwingend zur Anwendung von Art 3 Abs 2 Dublin II-VO infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten. Die Ausweisung war zulässig.

Facts: 

Die Antragsteller waren Mutter und Sohn. Sie brachten beim Bundesasylamt am 15.08.2013 Anträge auf internationalen Schutz ein. Im August 2013 reisten die Antragsteller über Weißrussland nach Polen, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurden. Die Antragsteller gaben an, dass Ziel ihrer Reise stets Österreich gewesen sei. Die Flucht nach Österreich gründete sich auf Krankheit beider Antragsteller sowie Schikane seitens des tschetschenischen Militärs in Polen.

Das Bundesasylamt wies die Anträge auf internationalen Schutz als unzulässig zurück und sprach die Zuständigkeit Polens gem Art 16 Abs 1 lit c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) aus. Zusätzlich wurden die Antragsteller nach Polen ausgewiesen und die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt.

Das Bundesasylamt stellte fest, dass weder eine körperliche noch eine ansteckende oder eine schwere psychische Störung gegeben war, welche durch eine Abschiebung zu einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes geführt hätte. Auch die Überstellung der Antragsteller nach Polen würde zu keiner Verletzung des Art 8 EMRK führen. Weder wäre die Gefahr einer Verfolgung oder Misshandlung noch keine ausreichende medizinische Behandlung in Polen gegeben. Außerdem hatte Polen sich gem Art 16 Abs 1 lit c der Dublin II-VO für zuständig erklärt. Es gäbe nach Ansicht des Bundesasylamtes auch keinerlei Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gem Art 3 Abs 2 Dublin II-VO.

Der Asylgerichtshof bestätigte die Ansicht des Bundesasylamtes.

Decision & Reasoning: 

Der Asylgerichtshof nahm im Wesentlichen zu zwei Punkten eingehend Stellung: 1. Die Frage der Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz und 2. die Frage der Zulässigkeit der Ausweisung.

Nach nationalem Recht ist ein nicht erledigter Antrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung das Asylantrages zuständig ist. Bei Erlass eines Zurückweisungsbescheides muss die Asylbehörde feststellen, welcher Staat zuständig ist und die Zurückweisung des Antrages mit einer Ausweisung verbinden.

Der Asylgerichtshof stellte fest, dass die Zuständigkeit Polens zur inhaltlichen Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gegeben war. Dies, da die Antragsteller in Polen erkennungsdienstlich behandelt wurden und Asylanträge stellten. Das Zuständigkeitskriterium des Art 10 Abs 1 Dublin II-VO war somit erfüllt. Auch gab es keinen Hinweis darauf, dass die Antragsteller das Gebiet der EU zwischenzeitlich verlassen hätten. Die Zuständigkeit Polens war daher nicht gem Art 16 Abs 3 Dublin II-VO untergegangen. Auch erklärte sich Polen gem Art 16 Abs 1 lit c Dublin II-VO ausdrücklich für zuständig.

Nach Ansicht des Asylgerichtshofes gab es keinerlei Hinweis darauf, dass Willkür vorliegen könnte und die Zuständigkeitserklärung von Polen wegen Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Verfahrensgrundsätze keinen Bestand haben könnte.

Auch die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechtes nach Art 3 Abs 2 Dublin II-VO des Bundesasylamtes war rechtmäßig. Es war nicht nötig zur Vermeidung einer Verletzung von maßgeblichen Vorschriften der EMRK zwingend vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

Hierbei stützte sich der Asylgerichtshof auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Mitgliedstaaten haben nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO bereits erfolgt sei. Dennoch ist eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall möglich und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht zwingend geboten.

Es bedarf europarechtlich im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen und des Vorliegens besonderer, vom Antragsteller bescheinigter, außergewöhnlicher Umstände, um die Sicherheit der Partnerstaaten der Europäischen Union im individuellen Fall erschüttern zu können. Der Asylgerichtshof brachte das Beispiel Griechenlands, welches aufgrund zahlreicher Entscheidungen und gängiger Berichtslage einer Einzelfallprüfung bedarf. Obwohl eine derartige Berichtslage zu Polen nicht vorlag, untersuchte der Asylgerichtshof mögliche Verletzungen Polens im Hinblick auf Art 3 und 8 EMRK.

Bezugnehmend auf Art 3 EMRK führte der Asylgerichtshof aus, dass aufgrund der Regelvermutung des nationalen Asylgesetzes davon auszugehen ist, dass der Asylwerber im zuständigen Staat hinreichend Schutz findet, wenn nicht besondere (exzeptionelle) Gründe vorliegen, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes sprechen. Diese Gründe müssen entweder vom Asylwerber glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder dem Asylgerichtshof offenkundig sein. Erst dann gilt die Sicherheit als widerlegt. Die Asylbehörden sind in solch einem Fall verpflichtet erforderliche weitere Erhebungen von Amts wegen durchzuführen, um die Prognose einer realen Gefahr ("real risk") erstellen zu können. Konkretes Vorbringen, dass das polnische Asylwesen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, wurde nicht erstattet. Die von den Antragstellern angegebene Kritik an der Situation von Drittstaatsangehörigen in Polen ist nicht geeignet systematisch mangelhafte bzw. allgemein menschenwidrige Bedingungen darzulegen.

Der Prüfungsmaßstab für die medizinische Behandlung in Polen ergibt, dass eine Überstellung dann unzulässig ist, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufes oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde. Hierbei sind ebenso die von den Asylinstanzen festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich. Dies stellt eine erweiterte Prüfung der Reisefähigkeit dar. Der Asylgerichtshof ging davon aus, dass die Krankheiten der Antragsteller auch in Polen behandelbar sind. Der Asylgerichtshof ging ebenfalls davon aus, dass es in der medizinischen Versorgung Polens keine schwerwiegenden Unterschiede zu Österreich gibt.

Auch eine Verletzung des Art 8 EMRK wurde verneint, da die Antragsteller sich erst seit knapp vier Monaten in Österreich befanden und sie nicht angaben Familienangehörige oder sonstige Bezugspersonen in Österreich zu haben. Bei einer derart kurzen Aufenthaltsdauer wäre nicht davon auszugehen, dass starke private Anknüpfungspunkte in Österreich bestehen, die zu einem relevanten Privatleben gem Art 8 EMRK führen würden.

Im Ergebnis bekräftigte der Asylgerichtshof die Sichtweise des Bundesasylamtes, dass es keinerlei Anlass gab, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 Dublin II-VO infolge drohender Verletzung von Art 3 oder 8 EMRK zu verpflichten. Ebenso war die Ausweisung zulässig, da nach nationalem Recht der Bescheid des Bundesasylamtes mit einer Ausweisung zu verbinden war. Weder lag ein anderweitiges Aufenthaltsrecht vor noch eine Verletzung des Art 3 oder 8 EMRK.

Der Asylgerichtshof bestätigte die angefochtenen Bescheide.

Outcome: 

Die Beschwerden wurden abgewiesen. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes wurden bekräftigt, die Ausweisungen als zulässig festgestellt.

Observations/Comments: 

Der Asylgerichtshof setzt sich intensiv mit der Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz sowie den Voraussetzungen des Selbsteintrittsrechtes gem Art 3 Abs 2 Dublin II-VO und auseinander.

Other sources cited: 

Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007

Premiszl, Schutz vor Abschiebung und Traumatisierten in "Dublin-Verfahren" migraLex 2/2008

Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung. Das Europäische Asylzuständigkeitssystem. Berliner Wissenschafts-Verlag, Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Berlin, Wien, Graz 2010

Case Law Cited: 

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ECtHR - Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirketi (Bosphorus Airways) v. Ireland [GC], Application No. 45036/98

ECtHR - Said v Netherlands, Application No. 2345/02

Austria - Administrative Court (VwGH), 26 November 1999, 96/21/0499

Austria - Administrative Court (VwGH), 09 May 2003, 98/18/0317

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Austria - Administrative Court (VwGH) 26 June 1997, 95/18/1293

Austria - Administrative Court (VwGH) 17 July 1997, 97/18/0336

Austria - Administrative Court (VwGH) 1 October 1997, 96/09/0007

Austria - Administrative Court (VwGH) 16 June 2004, 2001/08/0112

Austria - Administrative Court (VwGH) 19 February 2004, 99/20/0573

Austria - Administrative Court (VwGH) 23 November 2006, 2005/20/0444

Austria - Constitutional Court, 6 March 2008, B 2400/07

ECtHR - Ndangoya v Sweden, Application No.17868/03