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Home ›Österreich – Verfassungsgerichtshof, Urteils vom 23. September 2016, E 1200/2016-12
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European Union Law > EN - Dublin III Regulation, Council Regulation (EC) No. 604/2013 of 26 June 2013 (recast Dublin II Regulation)
Austria – Art. I Abs. 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassistischer Diskriminierung
BGBl. 390/1973
Ein allgemeines Rundschreiben („Circular letter“) der italienischen Behörden ist keine ausreichende individuelle Zusicherung bei drohender Dublin-Rückführung eines unter diversen schwerwiegenden Krankheiten leidenden Mannes.
Der Beschwerdeführer ist ein 58-jähriger Iraner. Mit einem Visum für den Schengenraum aus dem Iran reiste er zunächst nach Italien ein. Von dort aus ging er nach Österreich, wo er im Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die italienischen Behörden stimmten einer Übernahme des Beschwerdeführers aufgrund der Regelungen der Dublin-III-Verordnung im Dezember 2015 zu.
Der Beschwerdeführer leidet an Parkinson, Depressionen und arterieller Hypertonie. Er bekam zudem eine Gefäßstütze („Stent“) auf das Herzkranzgefäß eingesetzt. Die österreichischen Behörden ersuchten die italienischen Behörden aufgrund dieser Krankheiten vor der Rückführung um eine individuelle Betreuungszusage und übermittelten eine Medikamentenliste.
Die italienischen Behörden antworteten, dass sie keine individuelle Zusage geben könnten. Stattdessen fügten sie ein allgemeines Rundschreiben des italienischen Innenministers („Circular Letter“) bei. Dieser enthielt eine Liste italienischer Unterbringungsstätten, in denen hilfsbedürftige Personen menschenrechtskonform untergebracht werden. Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies daraufhin den Antrag des Beschwerdeführers zurück. Es erklärte Italien für die Prüfung des Asylantrags für zuständig und ordnete die Abschiebung nach Italien an.
Eine dagegen eingelegte Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen, da der Beschwerdeführer durch die Rückführung nach Italien keine Grundrechtsverletzung erleide. Seine Entscheidung begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass in Italien für Schutzsuchende keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestehe. Dublin-Rückkehrer hätten Zugang zum italienischen Asylsystem, erhielten Rechtsschutz, Unterbringung und Versorgungsleistungen. Das italienische Asylsystem weise somit keine systemischen Mängel auf. Zudem sei der Beschwerdeführer nicht besonders vulnerabel, da es sich um einen „jungen, allein reisenden Mann ohne schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung“ handele. Die Zusicherung der italienischen Behörden sei ausreichend. Das Bundesverwaltungsgericht verweist auf die Tarakhel-Entscheidung des EGMR, wonach die allgemeine Situation von Asylsuchenden in Italien ausreichend sei. Schließlich stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass auch Art. 8 EMRK nicht verletzt ist, obwohl der Beschwerdeführer mit seinem iranischen Lebensgefährten eingereist ist, dem in Österreich Asyl gewährt wurde.
Der Verfassungsgerichtshof hält die Beschwerde für zulässig und begründet.
Die Österreichische Verfassung beinhaltet das Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Hieraus folgt ein Gebot der Gleichbehandlung vom Fremden untereinander. Ungleichbehandlungen sind danach nur zulässig, sofern ein vernünftiger Grund dafür besteht und sie verhältnismäßig sind.
Dieses subjektive Recht auf Gleichbehandlung ist verletzt, wenn die gerichtliche Entscheidung willkürlich ausfällt. Willkür liegt insbesondere vor bei gehäufter Verkennung der Rechtslage, Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt, Ignorieren von Parteivorbringen, leichtfertigem Abweichen vom Akteninhalt oder Außerachtlassen des konkreten Sachverhalts.
Dem Bundesverwaltungsgericht sind vorliegend solche Fehler unterlaufen. Seine Annahme, beim Beschwerdeführer handele es sich um einen jungen, allein reisenden Mann ohne schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung steht im eklatanten Widerspruch zum Akteninhalt. Vielmehr ist der Kläger 58 Jahre alt, in Begleitung seines Lebensgefährten und leidet u.a. an Parkinson. Außerdem kann das von den italienischen Behörden zugesandte Rundschreiben nicht als ausreichende individuelle Zusicherung betrachtet werden, da es in keiner Weise auf die Umstände des konkreten Falles eingeht.
Beschwerde erfolgreich; Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung
Diese Zusammenfassung wurde von Ass.-Jur. Lisa-Marie Lührs MLE geschrieben. Sie ist Doktorandin an der Universität zu Köln.
Domestic Case Law
Austria – VfSlg. 13.836/1994
Austria – VfSlg. 14.393/1995
Austria - VfSlg. 14.650/1996
Austria – VfSlg. 15.451/1999
Austria – VfSlg. 15743/2000
Austria – VfSlg. 16.080/2001
Austria – VfSlg. 16.214/2001
Austria – VfSlg. 16.297/2001
Austria – VfSlg. 16.314/2001
Austria – VfSlg. 16.354/2001
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Austria – VfSlg. 17.026/2003
Austria – VfSlg. 18.614/2008
Austria – VfGH 30.6.2016, E 449-450/2016