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Home ›Österreich – Bundesverwaltungsgericht 30. Dezember 2016, W237 2104471-1
Council of Europe Instruments > EN - Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms > Article 3
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58 VwGVG (Fassung 2013) (Federal Act on Procedures at Administrative Courts)
Austria §§ 3
7
8
9 AsylG 2005 (Asylum Act)
Austria § 7 BFA-VG (Fassung 2016) (BFA Procedures Act)
Austria § 6 BVwGG (Federal Administrative Court Act Amendment of administrative litigation)
Austria § 57 FrG (Foreigners Law)
Austria § 25a Abs. 1 VwGG (Federal Act on Procedures at Higher Administrative Courts)
Austria § 133 Abs. 4 B-VG (Federal Constitutional Law)
Einer Abschiebung steht Art. 3 EMRK auch dann entgegen, wenn bei schwerer Erkrankung trotz Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland, die Kosten der Behandlung oder Begleitmedikation, aufgrund der konkreten persönlichen Verhältnisse des Antragstellers, nicht getragen werden können und daher die Wahrscheinlichkeit des Wiederanstiegs der Erkrankung und einer realen lebensgefährdenden Gefahr gegeben sind.
Der Beschwerdeführer ist georgischer Staatsbürger. Er leidet an Schrumpfnieren in terminalem Stadium, ist daher Dialyse-Patient und unterzog sich in der georgischen Hauptstadt Tiflis bereits drei Monate lang einer Dialyse-Behandlung. Er vertrug die Behandlung in Georgien jedoch insgesamt nicht gut. Die Kosten der Begleitmedikation, welche sich im dreistelligen Euro-Bereich befindet, musste er überdies selbst tragen, was ihm aufgrund der geringen sozialen Unterstützung von umgerechnet 55 Euro, die er erhält, lediglich unzureichend gelang und auch aufgrund eines fehlenden sozialen Netzes und seiner physischen Arbeitsunfähigkeit nicht anderweitig möglich war. Auch ist eine Transplantation zwar medizinisch induziert, jedoch nicht möglich, weil in Georgien Leichentransplantationen verboten sind und eine Transplantation unter lebenden Verwandten für den Beschwerdeführer nicht in Frage kommt, da er nur noch eine krebskranke Tante und eine Großmutter hat. Da in Österreich die Medikation, anders als in Georgien von der Krankenkasse übernommen wird und mit Aufenthaltstitel ein Platz auf einer Transplantationsliste folgt, reiste er am 2.03.2014 illegal in österreichisches Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither lebte er mit seiner Frau russischer Nationalität und den zwei, in Österreich geborenen Kindern, im Bundesgebiet und ist in dort in Dialyse-Behandlung. Das Bundesamt für Fremdwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 19.03.2015 zurück und verweigerte Zuerkennung von Asyl und subsidiärem Schutzstatus und einem Aufenthaltstitel aus anderen berücksichtigenswerten Gründen. Das Amt erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung zulässig sei. Die Dialysebehandlung sei auch in Georgien möglich, auch wenn der Qualitätsstandard abweiche. Der Beschwerdeführer erhob dann Beschwerde zum BVerwG, welche am 27.03.2015 bei diesem einging und rügte, dass die Behörde den genauen Gesundheitszustand und die verwandtschaftlichen Bindungen in Österreich, sowie die Lage in Georgien unzureichend ermittelt habe. In der Verhandlung legte der Beschwerdeführer Aufstellungen zur Medikation, medizinische Befunde von Kliniken in Georgien und Österreich, Unterlagen über ihm zustehende Sozialhilfen in Georgien und eine Auflistung der Preise von dem Beschwerdeführer verschriebenen Medikamenten vor.
Das Gericht geht auf die allgemeine Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ein, die eine Überstellung in den Herkunftsstaat auch dann nicht als zulässig erachtet, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation droht. Zwar kann ein Ausländer nicht in einem anderen Staat verbleiben nur um dort medizinisch behandelt zu werden, solange eine Behandlung im Herkunftsland grundsätzlich möglich wäre, jedoch kann bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eine Abschiebung dennoch gegen Art. 3 EMRK gegeben sein. Solche lägen zum Beispiel dann vor, wenn der Erkrankte bei Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde unter qualvollen Umständen zu sterben. Das Gericht hat bei seiner Überprüfung mehrere Berichte der Europäischen Kommission, von GeoStat, dem ÖEZ, der Georgian Association of Transplantologists, der SSA, der WHO, der UNHCR, dem UNFPA und weiterer Institutionen und Experten zu Grunde gelegt.
Die Krankheit des Beschwerdeführers bedeutet für sich genommen keine Verletzung des Art. 3 EMRK, denn er leidet zwar an einer schweren Erkrankung, jedoch bestehen in Georgien die Behandlungsmöglichkeiten in Form einer Dialysebehandlung, die er sogar selbst noch in Anspruch genommen hatte. Auch etwaige unterschiedliche Qualitäts- und Hygienestandards führen zu keinem anderen Ergebnis.
Jedoch sprach der Verwaltungsgerichtshof wiederholt aus, dass bei schwerwiegenden Erkrankungen auch zu prüfen sei, wie wahrscheinlich ein Wiederanstieg der Erkrankung sei und welche Auswirkungen auf den Gesundheitszustand als reale Gefahr damit verbunden seien. Auch zu prüfen sei in diesem Rahmen, ob der Zugang zu der notwendigen Behandlung, unter Betrachtung der tatsächlichen vorliegenden konkreten Kosten, möglich wäre. Das heißt, so auch der Verfassungshof, dass die individuellen finanziellen Möglichkeiten im Einzelfall geprüft werden müssen. Außerdem sollen die räumliche Entfernung zu Behandlungseinrichtungen und das soziale bzw. familiäre Netzwerk berücksichtigt werden.
Da der Beschwerdeführer in Georgien keine Möglichkeit zur Transplantation hat, wäre er dort weiterhin auf eine Dialysebehandlung angewiesen. Diese ist zwar grundsätzlich möglich, aber er könnte die notwendige Begleitmedikation nicht bezahlen. Die fehlende Einnahme von Begleitmedikation hat wahrscheinlich auch zur schlechten Verfassung vor Ausreise geführt.
Aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers besteht nur eine finanzielle Unterstützung durch die Sozialhilfe, da eine Arbeitslosenhilfe in Georgien nicht vorhanden ist. Auch die verbleibende Familie, die Großmutter und die krebskranke Tante, können keine ausreichende finanzielle Unterstützung bieten. Zudem ist nicht davon auszugehen, dass die Ehefrau die Kosten decken könnte. Zum einen ist sie mit der Betreuung der Kinder befasst, da dies dem Mann aufgrund der zeitintensiven Behandlung nicht möglich ist. Zum anderen ist sie von Beruf Friseurin und kann auf kein hohes Gehalt hoffen. Erschwerend hinzu kommt, dass eine Tätigkeit ohne ausländerbeschäftigungsrechtliche Bewilligung nicht möglich ist. Überdies ist sie der georgischen Sprache nicht mächtig.
Der Beschwerdeführer wäre insgesamt nicht imstande für die Kosten der Begleitmedikation der Hämodialyse aufzukommen, die aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Transplantation in Georgien nötig wäre. Ohne Einnahme der Medikation besteht aber die reale Gefahr einer rapiden lebensgefährlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Somit verstößt eine Abschiebung gegen Art. 3 EMRK.
Beschwerde wird stattgegeben; dem Beschwerdeführer wird der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt; Beschwerdeführer wird Aufenthaltsberechtigung von einem Jahr erteilt
Diese Zusammenfassung wurde von Michael Spath verfasst.
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